Volltext: XXI. Jahresbericht des Mädchen Lyzeums in Linz 1909/10 (21. 1909/10)

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läßt sich fast zu Brei zerhacken, wobei noch kleine Stückchen wachstum¬ 
fähig bleiben. Diese Fälle von Degeneration grenzen bereits an die 
vegetative Vermehrung. 
Als Reflexe faßt man gegenwärtig alle auf einen äußeren 
Reiz hin, ohne willen oder Bewußtsein ausgelösten selbständigen Be¬ 
wegungen aller Organismen auf, ebensowohl das Zusammenzucken 
einer Amöbe bei elektrischer Reizung oder das Zusammenklappen der 
Fiederblättchen einer Mimose, wie den Pupillen- oder Blinzelreflex beim 
Menschen. Auch irgendwie ausgelöste Sekretionen von Drüsen oder Um¬ 
stimmungen des Stoffwechsels (z. B. bei den Wärmeregulationen), wobei 
oft „innere Reize" das auslösende Agens sein mögen. Die Ligenart dieser 
gegenüber anderen rein passiven Bewegungen (durch Druck, Stoß, Zug) 
besteht vor allem in ihrer nach Intensität und Richtung abgemessenen 
Zweckmäßigkeit, die ihnen den Anschein von Zielbewußtheit und Ab¬ 
sichtlichkeit verleiht. Dieser Eindruck wird noch verstärkt bei Reflexen, 
die eine Abfolge koordinierter Bewegungen oder sogenannte Reflex¬ 
ketten, als welche man die Instinktbewegungen auffaßt, vorstellen. 
Reflexe sind meist Schutz- oder Abwehrbewegungen und in dieser 
zweckmäßigen Verarbeitung des Reizes oder in der R eizv erw ertun g 
liegt eine Eigentümlichkeit alles Lebendigen. Auch die früher genannten 
Richtungsbewegungen lassen dieses Prinzip der Reizverwertung deutlich 
erkennen, wenn Bakterien im Wasser in dichten Schwärmen Sauerstoff 
produzierenden Rieselalgen folgen, so ist diese Erscheinung als positive 
Chemotaxis, das heißt als Reizwirkung des Sauerstoffes auf das Proto¬ 
plasma, indem der einseitige Sauerstoffreiz eine Herabsetzung der Ober¬ 
flächenspannung im halbflüssigen Plasma an dieser Seite und damit ein 
vorfließen des Zelleibes (Pseudopodienbildung) an dieser Stelle bewirkt, 
rein mechanisch erklärt, bis auf die Zweckmäßigkeit des ganzen Vor¬ 
ganges. Ebenso zweckmäßig ist es, wenn grüne, freibewegliche Algen¬ 
zellen in einem wassertropfen insgesamt nach dessen belichteter Seite 
hin sich konzentrieren oder wenn junge Blätter, deren Chlorophyll im 
direkten Sonnenlichte leicht zerstört wird, 'sich selbst so stellen, daß sie 
der stärksten Insolation ausweichen. Oder wenn eine positive Chemo¬ 
taxis mit zunehmender und daher schädlich werdender Ronzentration 
eines Lockstoffes (einer Säure z. B.) in eine fluchtartige Umkehr sich 
verwandelt. — Manche Biologen sehen in diesen Orientierungen und 
Bewegungen die Wurzel alles psychischen in der belebten Natur und 
sprechen daher selbst den einfachen Einzellen und Pflanzen bereits ziel¬ 
strebige Bewegungen zu, sehen z. B. in der Chemotaxis einen eigenen 
„chemischen Sinn" und erkennen in diesen Richtungsbewegungen die
	        
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