Volltext: XXI. Jahresbericht des Mädchen Lyzeums in Linz 1909/10 (21. 1909/10)

vollkommnungen" auftreten, die geradezu zum Untergange der Pflanze 
führten. Ferner konnte die Stammesentwicklung tatsächlich in einigen 
Abzweigungen des Lsauptstammes eine neue Bahn einschlagen, wo¬ 
durch überflüssig gewordene Organe infolge Nichtgebrauches eine Rück¬ 
bildung erfuhren oder rudimentär wurden oder gänzlich verschwanden. 
In manchen Fällen konnten diese Reduktionen zu einem wirklichen ^erab- 
sinken vom Organisationsniveau führen, wodurch die Entwicklung eine 
scheinbar rückläufige wurde. Dies erfolgte z. B. beim Übergange mancher 
Arten zur parasitischen Lebensweise, wobei oft ausgedehnte Rückbildungen 
von Organen, z. B. Sinnesorganen oder Bewegungsorganen, die bei 
festsitzenden Parasiten überflüssig wurden, stattfanden. So können An- 
passungen eine bestimmte Organisationshöhe bestimmen oder, mit anderen 
Worten, Anpassungsmerkmale werden zu Organisationsmerkmalen und 
der Vervollkommnungstrieb wird eben durch die möglichst vollkommene, 
von Generation zu Generation gesteigerte oder verbesserte Anpassung 
betätigt. Dieses Anpassungsvermögen bewirkt es, daß die Eigenschaften 
der Organismen den jeweiligen Lebensbedingungen entsprechen. Doch 
sind die Organismen nicht wahllos oder unbegrenzt anpassungsfähig, 
oft sind einmal eingeschlagene und fest vererbte Entwicklungsrichtungen 
nur schwer oder gar nicht durch Anpassungen an neue Lebensbedingungen 
abzuändern und manche Arten sind infolge dieser Anpassungssprödigkeit 
vom Schauplatz des Lebens verschwunden. 
Die Individuen und Arten kämpfen um ihre Existenz und um die 
Erhaltung der Art gegen junger, Wasser- und Lichtmangel, gegen 
Rälte und blitze, gegen Feinde jeder Art und auch gegen übermächtige 
Artgenossen einen beständigen Daseinskampf, ja fast scheint es, als ob 
alle die Erwerbungen und Vervollkommnungen in der Entwicklung nur 
auf eines abzielten, auf die Selbsterhaltung des Individuums und als 
ob selbst diese, die Sorge um das eigene Leben, oft zurückstände gegen 
einen höheren Zweck, gegen die Erhaltung der Art. So sehen wir, wie 
bei Pflanzen und Tieren alle Lebenstätigkeiten im Dienste einer höheren 
Wacht, eines oft ungeheuren Vermehrungs- und Verbreitungsdranges, 
sich abwickeln, wie manche Tiere Unsummen von Eimaterial oder 
Pflanzen solche von Samen erzeugen und wie das Getriebe ganzer Tier¬ 
staaten (Bienen, Ameisen, Termiten) sich mit größter Aufopferung um 
eines, um die Pflege der Brut dreht. So daß man mit Recht vielleicht 
sagen könnte: Leben ist eigentlich nichts anderes, als die Fähigkeit, 
wieder Leben zu erzeugen und zu erhalten, ein maßloser Trieb, ein 
naturgewaltiger Wille.
	        
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