Volltext: XXI. Jahresbericht des Mädchen Lyzeums in Linz 1909/10 (21. 1909/10)

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Kreise wurde ab Dezember f909 durch 8 Mochen eiu Zyklus von 
„Vorträge u aus dem Gebiete der neueren deutschen 
Literatur" abgehalten. Als Vortragender wurde Herr Professor 
Johann Paul gewonnen. Die Vorträge fanden jeden Mittwoch von 
1/26 bis Y27 Uhr abends im ebenerdigen Vortragssaale des Kauf¬ 
männischen Vereinshauses statt und waren gleichmäßig überaus stark 
(von mehr als \50 Zuhörerinnen) besucht. 
Zm ersten Vortrage skizzierte der Redner in den Einleitungsworten 
den Umfang seines Vortragszyklus über moderne Literatur und die 
Betrachtungsweise, die er dabei einhalten wolle. Ihm sei es zu tun, die 
„Moderne" ab \860 in den wichtigsten Phasen aus deu jeweiligen Zeit¬ 
strömungen zu charakterisieren und den Zeitcharakter aus den typischen 
Merken der Hauptdichter wiederzuspiegeln. Zn überaus klarer, freier 
und fließender Darstellungsweise zergliederte er die Zeitströmungen um 
^860 und der nächstfolgenden Zahre, besprach die politischen, wirtschaft¬ 
lichen und sozialen Verhältnisse Deutschlands (Aufkommen der Sozial¬ 
demokratie), die philosophischen (Einfluß Schopenhauers), naturwissen¬ 
schaftlichen (Darwinismus) und künstlerischen Einwirkungen (Operette 
und französisches Sittenstück) auf die Literatur dieser Zeit. An Friedrich 
Spielhagen zeigte er deu Hauptvertreter dieser Periode, den er in seinen 
drei Hauptwerken „problematische Naturen", „Zn Neih und Glied" 
und „Sturmflut" des genauere,! zeichnet. Überaus warmer und herz¬ 
licher Beifall lohnte die prächtigen Darbietungen des gewandten Redners. 
Seinen zweiten Vortrag am 7. Dezember leitete Herr Professor 
Paul mit sehr interessanten kritischen Bemerkungen über die wichtigsten 
Literaturgeschichten für diese Zeit ein und behandelte sodann fortsetzend 
die weiteren hervorragendsten Führer der neuen Literaturströmung der 
Sechzigerjahre, vor allen L. Anzengruber, M. Ebner-Eschenbach und 
K. F. Meyer, und zwar sowohl in Bezug auf ihre Hauptwerke, als auch 
auf ihre persönliche Eigenart. So recht dem Frauenpublikum aus der 
Seele und ins Herz gesprochen waren seine warmen und begeisternden 
Morte über unsere große österreichische Dichterin M. Ebner-Eschenbach, 
das ihm denn auch dafür mit herzlichem Beifall dankte. 
Am nächstfolgenden Mittwoch, den \5. Dezember, behandelte der 
Vortragende zuerst E. Mildenbruch als nationalen Dichter und brachte 
damit die Literaturperiode vor (880 zum Abschluß. Übergehend zur 
Betrachtung der literarischen Revolution der kommenden Zahre, besprach 
er eingehend die Ursachen, die dieselbe herbeiführten' deu Einfluß der 
Großstadt, die Verbreitung des sozialen Gedankens und die Presse; er 
erörterte die Bedeutung Friedrich Nietzsches und der fremden Literaturen
	        
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