Volltext: Von Tannenberg bis Hellingfors. Polen. Rumänien. Von den Karpathen zum Kaukasus. Die serbische-mazedonische Front. Italienfront. Der Orient (I. / 1935)

Die Rampfweise im Grient 
kleiner Rrebs sah es aus — in der Decke gefunden, in die er sich für die flacht gewickelt hatte. Es 
hatte ihn in die Hand gestochen. Einige Tage hatte das verdammt weh getan. 
Die Nacht bricht herein. Sie ist kühl und erquickend. Vorn Meere her weht ein leichter Wind. Allerlei 
Getier, das den Tag über unter den Steinen versteckt lag, verläßt feine Schlupfwinkel, huscht und schleicht 
über die Steine. Aus dem trockenen Bachbette klingt das Lachen der Schakale und vom Olivenhain her 
das Rufen der Räuzchen. Das ist auch die Stunde des Menschen. Die Postierungen, die den Tag über 
sich in Löchern, Höhlen, ausgetrockneten Zisternen, hinter Steinblöcken und unter aufgehängten Decken 
oder Zeltbahnen verkrochen haben, können sich jetzt bet einiger Vorsicht bewegen, ihre Boten zurück¬ 
senden, um Wasser und warmes Essen, Post und Befehle heranzuholen, Munition zu ergänzen und 
Ruanke oder verwundete zurückzuschaffen. Der Soldat wird zum Nachttier; hier im Gebirge an der 
Grenze zwischen Samaria und Judäa noch mehr, als in den großen Stellungssystemen der Westfront. 
Seit vorgestern ist der Feind rühriger als sonst. Er schießt mehr, man trifft seine Streifen im 
v< rgelände, seine Artillerie scheint die genauen Entfernungen abzutasten. Es ist etwas im Anzuge. 
Ymw, wir sind gewappnet. 
Eben ist eine deutsche schwere Granate in den Olivenhain drüben eingeschlagen und hat die 
Steinbrocken hoch in die Luft geschleudert. Deutlich klingt das Rlirren herüber, während die wei߬ 
braunen Schwaden langsam durch die Äste der Bäume schweben. Gleich darauf schlagen in rascher 
Folge drei weitere Granaten krachend dort ein; eine dicke Staubwolke erhebt sich über dem Hain. 
Vorsichtig erweitert der Späher seinen Durchguck nach links. Dort senkt sich das Tal in einen Ressel, 
hinter dem der Fels wieder stufenweise wie eine große Treppe ansteigt. Auch dort stehen die Staub- 
foNtainen. Auch der Feind fängt an jetzt heftig zu schießen. Eben schlägt eine Granate dicht vor 
dem Spalt ein, durch den der Deutsche beobachtet. Wie tausende feiner Nadeln bohrt sich ihm der 
Ralkstaub ins Gesicht. Immer stärker wird das Feuer. Unbarmherzig sticht die Sonne. Der Soldat 
will nach der Feldflasche greifen; aber er besinnt sich. Der Tag ist noch lang. Bis zum Abend wird es 
kein Wasser mehr geben. In diesem Augenblick schlägt klirrend etwas gegen den oberen Rand der 
niederen Deckungsmauer. Ein Stein löst sich, ein silbern glitzerndes Gewehrgeschoß fällt dem Sol¬ 
daten vor die Füße. Ist es schon so weit? Greift der Feind an? ... Blitzhaft weiß der Schütze, daß 
Gefahr droht und daß es jetzt auf ihn, auf ihn allein ankommt. Hundert Meter rechts und links stehen 
die nächsten Schützen. Sie können ihm nicht helfen und er kann ihnen nicht helfen. Ganz von selbst, 
automatisch, reißt es ihn an die Brustwehr. Er fühlt nicht mehr die scharfen Steinkanten, die durch 
den abgetragenen Leinenrock schneiden, er denkt nicht mehr an vorsichtiges Deckungnehmen. Sein 
Denken ist weit über das Gewohnte gesteigert, alle feine Sinne sind, wie die des Raubtieres, auf 
den nahenden Feind gerichtet. Zum erstenmal sieht er frei in die Landschaft, die er bis dahin nur 
verstohlen durch Steinritzen beobachtet hat. Da sind die Steinhänge, da ist der Olivenhain. Aber 
das alles gleitet vorbei; denn zum erstenmal sieht er in der Landschaft den Feind. Deutlich quellen 
aus dem Hain dunkle Menschenhaufen, in die er hineinschießt, Neben dem Busch im trockenen Bach¬ 
bett vor ihm richtet sich eine dunkle Gestalt auf. Ist es ein Inder? Genau unter der Brust faßt ihn 
die Visierlinie und mit dem Rückstoß des Gewehrs in der Schulter durchströmt den Deutschen das 
wohlige Gefühl, tadellos abgekommen zu fein ... 
Als es dunkel wurde fanden sie ihn. Er hatte genug gesehen, von der Landschaft freilich nur 
einen winzigen Ausschnitt, sternbesäte Hänge und eine Baumgruppe darin. Aber er hatte sie gesehen, 
wie nur der Soldat im Gefecht sie sieht, Nicht betrachtend neben ihr stehend, oder sie auf ihre Schönheit 
oder ihre Geschichte prüfend, sondern so wie der Ort, die Stunde und die Aufgabe es verlangte. Und 
er hatte sie als Sieger gesehen. Das waren nicht mehr graue Ralkbrocken, öde Triften und staubige 
Olivenbäume, sondern die Stätte einer glorreichen Tat, in der sich ein Mann unter Einsatz des Höch¬ 
sten, was er besaß, für eine große Sache bewährt hatte. 
lenser Biwak liegt in einem Tal unter Olivenbäumen und sieht in den ersten Morgenstunden, 
wenn die Sonne noch jung und freundlich ist und noch nicht ihr grimmiges Gesicht aufgesetzt hat, 
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