Volltext: Von Tannenberg bis Hellingfors. Polen. Rumänien. Von den Karpathen zum Kaukasus. Die serbische-mazedonische Front. Italienfront. Der Orient (I. / 1935)

Die Front bei Jerusalem und am Toten Meer 
vorstößt. Jetzt sind wir auf dem geraden Rurs nach Süden. Die Berge Samarias fangen an gegen 
Osten zurückzutreten, wir liegen über der öden Rüstenebene, rechts das Meer, links die Berge. Es 
ist Zeit, die geschichtlichen Träume, die sich aus den Flamen der Landschaft unter uns erheben, zu 
verscheuchen; denn die Gegenwart, der Rrieg, tritt an uns heran. Auch er als Rartenbild. was da 
einige Rilometer vor uns sich hinzieht, wie Figuren, die Borkenkäfer ausgenagt haben, das ist die 
Front, wir fliegen sie ab, indem wir nach Osten wenden, was den Rameraden auf der Erde als 
kräftiger Absatz erscheint, der Rand der Berge Samarias gegen die Rüstenebene, ist für uns nur 
ein Unterschied in der Farbentönung. — »Zier heißt es vorsichtig sein; denn in den felsigen Hügeln 
hören die langen zusammenhängenden Gräben der Befestigungen auf. vlur mit der Rartenein- 
zeichnung in der Hand kann man sagen, ob man sich über dem Freunde oder dem Feinde befindet. 
„Etwas mehr links" wird der vornsitzende Führer eingewinkt. Im Süden wird jetzt ein grauer Fleck 
mit weißen Flächen und Linien sichtbar. Das ist Jerusalem! In einer Viertelstunde könnten wir 
dorr sein. Aber in Jerusalem sitzt der Feind und seine Geschütze reichen weit. Schon bläht sich ein 
weißer Wattebausch rechts unter der Bordwand und der bellende Rrach einer krepierenden Granate 
übertönt das Brausen des Propellers. Das gilt uns! „Mehr links!" 
Sonderbar sieht das Land unter uns aus. Überall laufen die feinen weißen Linien der Ränder der 
Ralkterrassen und zeichnen den Bau des Gebirges nach, als wäre es ein Modell aus übereinander- 
gelegten Pappschichten. Dann hören sie auf, denn wir sind über dem breiten Mittelrücken, auf dem 
als langer weißer Wurm die uralte Straße vom worden des Landes nach Jerusalem verläuft, wer 
mag dort alles gezogen fein und mit welchen Gedanken! Aber fliegen konnte keiner von ihnen. Erst 
wir ... 
2|m langgestreckten, mit Steintrümmern übersäten Rücken des Schech Subik, den das kleine 
kapellenartige Heiligtum irgendeines uns unbekannten Mannes krönt, lag die deutsche Rompagnie 
weit ausgebreitet in einzelnen Gruppen. Seit Wochen schon. Hier in den Bergen von Samaria 
gab es kein unübersehbares Schützengrabengewirr, das man mühsam instand halten mußte, wie bei 
Arras oder am Damenwege. Dergleichen zu bauen hätte zu viel Rräfte in Anspruch genommen und 
eine unendliche Mühe bereitet, denn dicht unter der Schicht von Steintrümmern und kiesigem Boden 
begann der gewachsene Fels. Dafür konnte es auch nicht vorkommen, daß der Regen oder das quel¬ 
lende Grundwasser die Deckungen, die sich als kleine Steinwälle an Felsstücke oder Senkungen an¬ 
schmiegten, zerstörte, vom Feinde her waren diese niedrigen Mauern oder Geröllhaufen kaum zu 
erkennen, und die ungeheuren Eisenmassen, die man sich in Frankreich zuwarf, standen hier auch dem 
Engländer nicht zur Verfügung. Uns freilich noch viel weniger, viel schlimmer war die Sonne, die 
ewige Sonne, die tagsüber auf diese Steinwüstenei herunterprellerte. Übergehängte Zeltbahnen 
hielten wohl die unmittelbaren Strahlen ab, konnten aber nicht verhindern, daß sich darunter eine 
Bruthitze entwickelte, Ln der der kleine Trupp der Besatzung die heißesten Stunden des Tages verschlief 
oder verdöste. Das Wasser, das weither von einer der noch nicht ausgetrockneten Schöpfquellen im 
Tale herangeholt werden mußte, war kostbar, obwohl es schmutzig war und von Tierleben wimmelte. 
Bei Tage war es an die vorderen Postierungen überhaupt nicht heranzubringen. 
Der deutsche Schütze beobachtete durch eine Fuge im Steinwall vor ihm das Land in der Rich¬ 
tung auf den Feind. Die Luft flimmerte. Der Hang senkte sich über graue Ralktrümmer in ein Tälchen, 
in dem vereinzelte Olivenbäume wuchsen. Hier und da waren Teile eines vom winterregen aus¬ 
gewaschenen Bachbettes sichtbar. Jenseits hob sich der Boden wieder; er mochte etwas fruchtbarer 
fein, denn die Olivenbäume waren zahlreicher und bildeten einen kleinen Hain. Dort sollte der Eng¬ 
länder liegen. Zu sehen war er nicht. 
Einige Schrappnells kamen angereist, krepierten in der Luft und ließen ihren Regen von Blei¬ 
kugeln klirrend auf die Gteintrümmer schlagen, ohne Schaden zu tun. Diese Sorte war nicht weiter 
gefährlich. Unangenehmer war der Skorpion, der zwei Schritte entfernt über den braunen Boden 
kroch. Der Schütze trat ihn tot. Neulich hatte er morgens solch ein gefährliches Reptil — wie ein 
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