Volltext: Von Tannenberg bis Hellingfors. Polen. Rumänien. Von den Karpathen zum Kaukasus. Die serbische-mazedonische Front. Italienfront. Der Orient (I. / 1935)

Auf der Fahrt durch Anatolien und Rilikien 
wenn der Soldat auf seiner raschen Rriegsreise sich das Urteil bildete, daß mit Anatolien „nicht 
viel los sei", so gründete sich diese Meinung nur auf das, was sich von der Eisenbahn aus erfassen 
ließ; aber sein Urteil war nicht falsch. Hätte er eine Vorstellung gehabt von dem einstigen Reichtum, 
den die alten Pergamente und die Ausgrabungen vor dem Blick des Forschers wieder erstehen lassen, 
er wäre im höchsten Maße überrascht gewesen. Der Unterschied zwischen früher und jetzt hätte nur 
bekräftigt, was ihm seine Augen schon gesagt hatten: ein zerstörtes Land! 
Durch Asiun Rarahissar sind wir gefahren die Hochebene von Ronia haben wir durchquert. 
Bald wird Anatolien, dieses merkwürdige Land, das in früheren Zeiten einmal etwas war, heute 
nichts ist und vielleicht eines Tages wieder etwas sein wird, hinter uns liegen. Wir dachten weniger 
an die einstigen Herrlichkeiten, sondern beurteilten kühl die Möglichkeiten, die sich in harter und 
stetiger Arbeit daraus entwickeln lassen würden. Im Grunde kam es auf ein Bauernland heraus, 
das Raum bietet für das Mehrfache seiner jetzigen Bevölkerung, ohne Aussicht auf das zweifelhafte 
Glück ein Industrieland großen Stils zu werden. 
Am dritten Morgen der Bahnfahrt landen wir in einem Wald voller Geleise, ähnlich den Abstell¬ 
bahnhöfen unserer Großstädte: Hier ist das Ende der Vollbahn. Der große Taurustunnel, dessen 
schwarzes Tor in der Entfernung sichtbar ist, gewährt nur Schmalspurgleisen den Durchgang. An 
seiner Fertigstellung wird noch immer gearbeitet. 
Unter lautem Pfeifen setzt sich der Zug in Bewegung, geradewegs auf das schwarze Loch in 
der Bergwand zu, deren Stirn gewaltig und drohend vor uns aufsteigt. Dann wird es tiefe, kühle vlacht. 
Eine Stunde fahren wir bereits in langsamem Tempo. Aber jetzt huschen graue Schatten über 
die wände. Sie werden heller und heller und plötzlich umleuchtet uns wieder der Tag. Ein Blick 
von wunderbarer Schönheit tut sich vor uns auf. Unter uns liegt Rilikien in der strahlenden Sonne, 
weit, weit nach Osten und Südosten sich ausdehnend bis zu den blauen Massen ferner Gebirge, deren 
Fuß im Sonnenglaft verschwimmt. Jene Berge, deren Ronturen sich jenseits des Golfes von 
Alexandrette dünn gegen den blauen Himmel abzeichnen, sind der Amanus und der Giaur Dagh. Dort 
werden wir heute Abend sein, Nach Süden zu glänzt die endlose Fläche des Mittelmeers. Land scheint 
daraufzu schwimmen. Gehen wir in der klaren Morgenluft bis Zypern? Gei's drum! wir treiben nicht 
Geographie, sondern fahren in die Welt Ln jener Sorglosigkeit, die nur der Soldat kennt. 
Rilikien. — Bis hierher waren die Ausläufer des assyrischen Reiches in den anderthalb Jahr¬ 
tausenden seines Bestehens gedrungen. Hier waren die Perser des Dareios Rodomannos zum ent¬ 
scheidenden Rampfe gegen den jugendlichen Alexander angetreten, hier waren die Rreuzritter in ihren 
abenteuerlichen Zügen durchmarschiert. Bis hierher war, von Ägypten kommend, jener Mehemed Ali 
gelangt, der zur Zeit des jungen Moltke mit Hilfe europäischer Technik sich zum Monarchen emporschwang. 
Als wir am Abend dieses Tages den Scheiteltunnel des Amanusgebirges durchfahren, liegt 
Rleinasien hinter uns. wir betreten den arabischen Lebensraum, der nach Osten bis an die Mündung 
der beiden großen Ströme Mesopotamiens, nach Süden bis tief in das Nilgebiet, nach Westen um 
das Mittelmeer herum bis zu den Gäulen des Herkules reicht. Das klimatische Rennzeichen dieser 
ganzen Landschaft ist das Fehlen reichlichen Gommerregens. Der Wald, den wir schon in Anatolien 
selten sahen, findet hier keine Lebensmöglichkeiten mehr. Wohl gibt es an den wenigen, den Gommer 
durchhaltenden Wasserläufen, soweit der Boden durchfeuchtet ist, bandartige Auenwaldungen. Aber 
auch das ist für unsere Begriffe kein „Wald". Dafür hegt der Mensch den Garten, wo er nur kann. 
Auch die Oliven- oder Palmenhaine sind schließlich nichts anderes als Gärten. 
Den weit überwiegenden Raum aber nimmt die Wüste ein. Anders vermögen wir dieses ver¬ 
dorrte Land auch da kaum zu nennen, wo es unter der Nachwirkung kräftiger winterregen eine 
frühzeitig reifende dürftige Rörnerernte trägt, um dann in der glühenden Sonne von mindestens sechs 
regenlosen Sommermonaten in trostlose Ode zu versinken. 
Aleppo liegt weit hinter uns, mit feinem gewaltigen Raftell, das Mensch und Zeit nicht so bald 
zerstören werden, mit seinen engen Gassen und geheimnisvollen kleinen Türen in langen fensterlosen, 
der Straße zugekehrten Mauern, mir seinem Schmutz und seinen palastartigen Häusern. 
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