Der Zusammenbruch in Mazedonien im Herbst I9I8
0chon im Gommer I9I8 war aus vielen Anzeichen erkennbar, daß man das Spiel an der maze¬
donischen Front nicht mehr fest in der Hand hatte. Es entstanden Schwierigkeiten und Rei¬
bungen vielerlei Art und schlimmen Charakters.
Indessen war die Frontkameradschaft der beiden verbündeten Heere zu fest gefügt, als daß hier¬
aus eine Ratastrophe hätte entstehen müssen. Gefährlicher war das wachsende Mißtrauen in den
Bereichen der hohen Politik. Der Bulgare war in den Rrieg gezogen, um sich für den verrat der
einstigen Bundesgenossen im Balkankrieg zu rächen, um den serbischen Nebenbuhler niederzuwerfen
und ein großbulgarisches Balkanreich zu errichten. Die Deutschen hatten bisweilen Wasser in den
überschäumenden wein schütten müssen. Das erschien den Bulgaren schon halber verrat. Mit tiefem
Mißtrauen beobachteten sie die in Österreich-Ungarn und auch in Deutschland wachsende Stimmung
für einen Frieden der Verständigung und ohne Eroberungen. Ein solcher Frieden war für Bulgarien,
das lediglich zu dem Zweck in den Rrieg gezogen war, Eroberungen zu machen, undenkbar.
Als im Sommer I9I8 dann die große deutsche Westoffensive fehlschlug, wurde die Gefahr einer
Ratastrophe auf dem mazedonischen Rriegsschauplatz brennend. Niedergeschlagenheit und Mutlosig¬
keit verbreiteten sich im bulgarischen Volk. Irgendein starker Anstoß konnte eine Panik auslösen.
Der Anstoß kam. Am Morgen des 15. September brach ein Feuerorkan gegen die bulgarischen
Stellungen östlich des Lernabogens los. Am 15. September griffen die Ententetruppen an, wobei
die Franzosen wieder den Serben den vortritt ließen. In drei Tagen wurde ein So Rilometer
breites Loch in die bulgarische Front gestoßen, das sich reißend schnell nach der Tiefe ausdehnte.
Schon war Prilep gefährdet.
vielleicht hätte sich das Äußerste, das dann kam, nämlich der Zusammenbruch der ganzen maze¬
donischen Front und damit die Öffnung einer Bresche in der belagerten „Festung Mittelmächte",
noch vermeiden lassen, wenn ein Dutzend deutscher Bataillone mehr in Mazedonien gestanden hätten.
Aber die deutsche Oberste Heeresleitung hatte diese Front auf das äußerste geschwächt, weil ihr jedes
Bataillon für die große Westoffensive wichtig gewesen war. Sie hatte bewußt das damit verbundene
Wagnis auf sich genommen. Die Möglichkeiten der Verteidigung in dem Gebirgsland Serbien schienen
so günstig, daß selbst eine ernste Niederlage noch keine katastrophalen Wirkungen zu haben brauchte.
Als dann wider Erwarten aus einer Niederlage fast augenblicklich der Zusammenbruch der
bulgarischen Armee entstand, konnten die wenigen deutschen Bataillone und die paar Dutzend Batte¬
rien das Schicksal freilich nicht mehr aufhalten. Sie mußten einzeln dahin geworfen werden, wo die
Plot am größten war, und standen meist schon nach wenigen Stunden, rechts und links umfaßt,
einsam und verlassen einem übermächtigen Feinde gegenüber. Aber sie dachten nicht einen Augenblick
daran, die Flinte ins Rorn zu werfen und das fremde Land seinem Schicksal zu überlassen. Schritt
für Schritt nur, immer kämpfend, gingen sie zurück. Immer wieder versuchten sie, zusammen mit
den Trümmern des sich auflösenden bulgarischen Heeres, den reißenden Strom zum Stehen zu bringen;
auch noch als Prilep verlorenging, als das wichtige Gradsko an der Bahnlinie Saloniki—Üsküb—Plisch
geräumt werden mußte, als die ganze Front bis zum Ochridafee aufgerissen wurde und alles, was
dort an österreichischen, bulgarischen und deutschen Truppen stand, in Gefahr geriet, abgeschnitten
und gefangengenommen zu werden.
Sie kämpften auch noch, als es klar wurde, daß es nur darum ging, die Ehre noch zu retten.
Die Führer, vom Oberbefehlshaber der Heeresgruppe bis herab zum Rompagnieführer wetteiferten
darin, am Ende eines verlorenen Rrieges ein Beispiel letzter Pflichterfüllung zu geben. So entstand
ein Rückzug, der in Anbetracht der ganzen Umstände den deutschen Truppen zur höchsten Ehre gereicht.
Rein deutscher Führer hat bei diesem Rückzug die plerven verloren, kein Frontsoldat hat sich von
der Panik im bulgarischen Heer mitreißen lassen. Plicht von ihren Feinden, sondern vom Schicksal
geschlagen, haben die Reste der deutschen Truppen Mazedonien verlassen. Dieses Beispiel soldatischer
Zuverlässigkeit bis zur letzten Stunde reiht sich würdig den Taten jener Tapferen an der Westfront
an, die sich im Oktober und plovember, gehorsam dem Befehl, für eine verlorene Sache opferten.
17