Volltext: Allgemeine Einführung in das Steuerwesen (I. Teil /1909)

die Steuer in das Wirtschaftsleben einmengen. (Die liberale 
Steueridee.) 
Und wieder taucht die Idee einer einzigen, einheitlichen Steuer 
auf: die Idee einer allgemeinen und gleichen Ein 
kam mensteuer. Das Kleinbürgertum modifiziert diese Idee dahin, 
daß sie nicht bloß verhältnismäßig (wer zwei-, drei-, oder 
viermal fo hohes Einkommen beziehe, zahle zwei-, drei-, viermal so 
viel), sondern ansteigend od^r progressiv sein müsse. (Wer-zwei-, 
drei-, viermal so viel bezieht, zahlt etwa drei-, fünf-, siebenmal so 
viel.) Die einzige progressive Einkommensteuer ist die höchste 
S t e u e r f o r m e l der bürgerlichen Demokratie. — Das 
Großbürgertum sieht in ihr bereits den hereinbrechenden Kommunis 
mus. (So noch heute in Frankreich.) *) 
Einzige G ru n d st euer, einzige K a p i t a l st e u e r, 
einzige Einkommen st euer — diese Formeln sind geschichtlich 
zu verstehen als Ausfluß der wechselnden Klassenkämpfe der besitzenden 
Klassen unteremander in der kapitalistischen Epoche. 
Aber die a u f st e i g e n d e Bourgeoisie hat, sobald sie zur Herr 
schaft kam, als sie im Parlamentarismus das Machtmittel 
der Steuerfestsetzung errungen hatte, neben diesen ausgesprochen e n 
Steuerprinzipien ein neues, unausgesprochenes anonymes Prinzip 
eingeführt, das sie sorgfältig verborgen hielt und das wieder 
entdeckt zu haben eines der großenVerdienste FerdinandLassalles ist. 
James Stuart bemerkt diese Seite des Parlamentarismus zehn 
Jahre vor Adam Smith (1760): „Ich glaube einen bemerkenswerten 
Unterschied wahrgenommen zu haben in dem Gesichtspunkt bei der 
Besteuerung in Ländern, in welchen diese beiden Regierungsformen 
— nämlich die absolute und die parlamentarische — eingeführt sind. 
Unter der reinen Monarchie scheint der Fürst eifersüchtig auf den 
wachsenden Reichtum und legt daher die Steuern auf jene, die reich 
werden. Unter der konstitutionellen Monarchie sind sie darauf be 
rechnet, hauptsächlich diejenigen zu treffen, welche arm werde r>/'**) 
Als das anonyme Steuerprinzip der Bourgeoisie hat Ferdinand 
Lassalle die Ueberwülzung der ganzen Steuerlast auf die armen, auf 
die besitzlosen Klassen, auf das Proletariat nachgewiesen. „Zwar 
kann sie freilich nicht offen erklären, daß sie steuerfrei sein will. Ihr 
ausgesprochenes Prinzip ist vielmehr in der Regel, daß ein 
jeder im Verhältnis zu seinem Einkommen steuern solle. Aber sie 
erreicht wiederum, mindestens so gut es geht, dasselbe Resultat irr 
verkappter Form durch die Unterscheidung von 
direkten und indirekten Steuern. Nun hat zwar die 
Bourgeoisie die indirekten Steuern nicht eigentlich erfunden, sie 
existierten schon früher. Aber die Bourgeoisie hat sie erst zu einem 
*) Die deutschen Kathedersozialisten (Ad. Wagner) haben das Prinzip der uninter 
essierten Gleichheit der Steuern verlassen. Der Staat hat die Pflicht, wo er es kann, durch 
die Stenern so zialp o li tisch zu wirken, das heißt in die wirtschaftliche Einkommens- 
nnd Vermögensbildung regelnd einzugreifen. Von diesem Grundsatz haben freilich die Junker 
durch die Liebesgaben reichlich Gebrauch gemacht. 
**) Zitiert bei Lassalle: „Die indirekte Steuer und die Lage der Arbeiterklasse."
	        
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