Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1908 (1908)

68 
er wollte sich zuerst mit seinen sogenannten Freunden auseinandersetzen. Darum suchte 
er zunächst diese auf. Auch hatte er noch eine andere geheime Hoffnung: Riete noch¬ 
mals sehen und sich bei ihr entschuldigen zu können. Den andern stillen, aber heißen 
Wunsch, den er im Busen hegte, sich ihr gegenüber auszusprechen und seine Gefühle 
für sie entdecken zu können, mußte er ja leider begraben. 
Es war gerade eine größere Pause, als er in den Festsaal eintrat. Seine 
Freuude begrüßten ihn jubelnd und erkundigten sich, ob er sich den Lohn für sein 
Ständchen schon geholt. Das steigerte natürlich nur seinen Verdruß und in den 
heftigsten Ausdrücken warf er ihnen die Hinterlist vor, die sie gegen ihn gezeigt. 
Nun wurden die Sangesbrüder doch stutzig und forderten ihn auf, zu'erzählen. Wie 
er ihnen von seiner Arretierung berichtete, da lachten sie zwar wieder hell auf, aber 
Lenz sprach: 
„ Einen großen Fehler hast du selber gemacht. Hättest du dich nicht aus so 
lauge Erörterungen mit dem Schutzmann eingelassen und wärest du nach seiner An¬ 
sprache ruhig in die Klause gegangen, so wäre alles in Ordnung gewesen. Was dann 
die Stellung zu meinem Bäschen betrifft, so will ich schon dafür sorgen, daß du 
wieder in Ehren vor ihr erscheinen kannst. Und nun komm, altes Haus, und sei 
nicht mehr so bärbeißig." 
Diese Worte des Freundes beruhigten den Aufgeregten. Man hörte das Ora¬ 
torium zu Ende und begab sich dann zu dem gemeinschaftlichen Diner. Bei diesem 
hob sich die Stimmung mehr und mehr und es fehlte nicht viel, so hätte Emil auch 
wieder gesungen. 
Im Lause des Nachmittags machte Lenz bei seinem Bäschen einen Besuch, 
und die Folge davou war, daß dieses abends ganz unbefangen Emil entgegentrat. 
Dieser war darüber hoch beglückt, engagierte sie sofort zum ersten Walzer und bat 
außerdem um noch einige Tänze, welche ihm alle freudig bewilligt wurden. 
Hochbeglückt walzte Emil bald daraus mit der blühenden Gestalt im Arme 
durch den Saal. Während der Pansen fand er den Mut, sie anzusprechen: 
„Fräulein Niese, was werden Sie von mir denken!" 
„Wieso?" fragte sie und sah ihn mit ihren schönen braunen Augen voll an. 
„Nun wegen des Vorkommnisses heute Nacht." 
„Ach, Sie wissen —?" sagte sie und senkte verwirrt das Köpfchen. 
„Ja, ich weiß," fuhr er fort, „daß Sie Zeuge desselben waren und werden nun 
gewiß recht schlecht von mir denken." 
„O gewiß nicht! Nein!" antwortete sie eifrig mit zartem Erröten. „Ich denke 
von Ihnen nur das Beste." 
„Fräulein Nieke!" rief et beseeligt aus, „Sie haben ein goldenes Herz!" 
Gern hätte er noch mehr gesagt; aber sie kamen wieder zum Tanz an die 
Reihe. Nachdem aber die Tour beendet war, machte er seiner Tänzerin den Vor¬ 
schlag, in dem au den Saal stoßenden Park frische Lust zu schöpfen. Mit einem 
stillen Kopfnicken willigte sie ein. Und nun führte er sie in der herrlichen Sommer¬ 
nacht unter den hochwipsligen blühenden Linden auf und ab und fing endlich an, 
von seiner großen, tiefen Liebe zu ihr zu sprechen, die er schon fast beim ersten 
Sehen zu ihr gefaßt, und fragte sie, ob sie ihm denn auch ein wenig gut fein könnte. 
Und dann — — ? Ja, fragt nur den Vollmond, der verstohlen durch das Laub¬ 
dach der Linden blinzelte, der kann Euch alles berichten. 
Als das Paar innig aneinandergeschmiegt in den Saal zurückgekehrt, ries Emil: 
„Nun will ich aber gleich zu Deinen Eltern eilen und sie um ihren Segen bitten!" 
Aber Rieke meinte: '„Tue das nicht, Geliebter. Lasse vielmehr niemand etwas 
merken, was in diesem Augenblick zwischen uns vorgegangen. Ich will erst die Eltern
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.