Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1908 (1908)

41 
kleine, wie Quecksilber bewegliche Frauchen dann vollends außer Rand und Band 
Endlich verstummte das Wvrtqeprassel, sie sank erschöpft, schluchzend in die Sofaecke. 
„Bist du fertig mit Stacheldrahtspinnen, mein süßer Engel?" fragte Max mit 
erstaunlicher Ruhe. „Nun, dann wollen wir den Faden abschneiden, Adieu!" 
Abermals fand Max Zeit, wochenlang abends in stiller Einsamkeit in seinem 
Arbeits- oder Schlafzimmer über seine Sünden nachzudenken, er grübelte und sann 
hin und her, wie er sich wieder in den Besitz des Hausschlüssels bringen könnte, doch 
alle Pläne, die er entwarf, waren aussichtslos.. Er hätte sich die Haare ausraufen 
mögen, so wurmte er sich über sein elendes, freudloses Dasein; wie lange sollte er 
noch dieses ihm widerwärtige, verhaßte Leben ertragen? Und nun stand gar eine 
kleine Festlichkeit nahe bevor, die der Stammtisch im „Blauen Schild" veranstaltet 
und wozu er eine briefliche Einladung mit dein ausdrücklichen Bemerken, daß man 
bestimmt auf sein Erscheinen rechne, erhalten .hatte! Da konnte, durfte er unter 
keinen Umständen fehlen! Aber Minchen um den Hausschlüssel bitten? Nein, um 
keinen Preis! 
Mit prüfendem Auge musterte Max am nächsten Morgen vom Hose aus die 
beiden Fenster seines Schlafzimmers. Die Entfernung vom Erdboden hinauf bis an 
die Fensterbank war doch nicht so gering, als er sich vorgestellt hatte, aber es war 
ja Raum genug vorhanden, um dort, nun, wenn nicht sonst etwas, ein paar leere 
Petrolenmfäsfer aufstellen zu können. Das konnte niemanden auffallen, • zumal jetzt 
im Winter, wo seine Gattin nie den Hof betrat. 
An dem festlichen Abend, es war gegen nenn Uhr, machte Max sich also zur 
Reise auf dem „Wege durchs Fenster" fertig. Eines nur hatte er nicht bedacht — 
das Mädchen hatte, wie immer, so auch heute bie Stiesel zum Putzen bereits weg¬ 
geholt! Was nun? Nach ihnen suchen durfte-er nicht, dadurch hätte er seine Absicht 
sofort verraten; in beit Hausschuhen über bie Straße gehen konnte er nicht, denn 
bmußett lag bei' Schnee nahezu einen halben Fuß hoch; - ein retteftber Gebanke 
kam ihm. Unter seinem Schreibtische hatte er ja zwei bis an bie Waben reichende 
Filzstiefel stehen, bic er bei längerem Sitzen zum Schutze gegen kalte Füße über bie 
Hausschuhe zu ziehen pflegte; sie holen, hineintreten, bie Düren verschließen war bas 
Werk eines Augenblicks. Dann löschte er bie Lampe, machte bas Fenster auf, schwang 
sich hinaus, schloß es wieder, so gut es ging, unb eine Viertelstünbe später saß er 
kreuzfidel mitten in der Festgesellschaft im „Blauen Schitb". Hei, wie bet bie Gläser 
aneinanderklirrten heute würbe zur Feier des Tages ausschließlich Wein vertilgt, 
wie Max ba scherzte ttitb lachte iit beut wonnigen Gefühle, trotz der Beschlag¬ 
nahme beider Hausschlüssel seiner besseren Hälfte ein Schnippchen geschlagen zu haben! 
Sein Humor war an diesem Abend geradezu unverwüstlich, alte und neue, gute und 
schlechte Witze sprudelten wie aus einer unerschöpflichen Quelle unaufhaltsam über 
feine Lippen, sodaß feine Zuhörer sich schier „fmitflachen" wollten. Unb so sitzsant 
nicht zu verwechseln mit sittsam waren bie lustigen Stammtischler, baß sie 
sich wieder erst nach vier Uhr trennten. 
In gehobenster Stimmung trat Max feinen Heimweg an, ttitb um ihn abzu¬ 
kürzen, bog er in eine Seitengasse ein, von ber aus er auf feinen Kohlenlagerplatz 
unb über diesen durch eine Verbindungstür auf bett Hof gelangte. Während ber 
Nacht war bic Temperatur umgeschlagen, Tauwetter eingetreten, ber Schnee voll- 
stänbig geschmolzen, ber Lagerplatz in schwarzen Morast verwandelt. Doch Max war 
so vergnügt, baß er bas alles nicht merkte. Erst als ber große Kettenhund, befsen 
Hütte bicht neben ber Bevbiitbuitgstür ihren Platz hatte, kräftig anschlug, würbe er 
aus feilten süßen Erinnerungen an bie froh verlebten Stnnben aufgeschreckt.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.