Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1907 (1907)

89 
Im ersten Augenblick, als ich diese selbstverständliche Maßnahme erfuhr, redete 
ich mir ein, sie sei lediglich meines Verbrechens halber erfolgt. Ich schämte mich, 
daß ich mich nicht längst reuig der Behörde gestellt hatte und sprach mit meiner 
Frau, ob ich es nunmehr nicht tun sollte. Doch diese wusch mir wieder ordentlich 
den Kopf. Sie zeigte mir, daß ich nun erst recht nichts zu befürchten hätte. 
Der Verstorbene sei der Einzige in der Welt gewesen, der mein Verbrechen 
hätte bezeugen können, es würde überhaupt niemand darauf kommen, daß der Wechsel 
falsch sein könne. Trotzdem konnte ich die Sorgen nicht los werden. 
Nahm die Behörde von vornherein an, der in den Büchern nicht aufgeführte 
Wechsel sei falsch, so war ich leicht zu überführen, denn ich wußte nicht, von wo 
mir Ihr Vater das Akzept hergeschickt hatte. Jeder Platz, den ich nannte, konnte 
mich entlarven, da es gerade ein Ding der Unmöglichkeit war, den Ort zu erraten, 
wo Ihr Vater sich am Tage der Akzeptierung des Wechsels aufgehalten hatte. Eine 
Anfrage in den Hotels hätte dann leicht den Beweis für die Falschheit meiner 
Angaben erbringen können. 
O, ich habe damals fürchterliche Qualen ausgestanden, aber ich klage nicht. 
Es war ja die gerechte Strafe für mein Verbrechen. Und ich kann sagen, lieber 
Freund, daß mir mein Gewissen bis heute keine Ruhe gelassen hat. Las ich durch 
Zufall in der Zeitung von einem Wechselfälscher, so errötete ich unwillkürlich. Und 
noch heute nach einem Vierteljahrhundert ehrlicher, ernster Arbeit beschleicht mich ein 
unangenehmes Gefühl, wenn man in meiner Gegenwart von einem derartigen Ver¬ 
brecher spricht. Ich schäme mich in das Innere meiner Seele hinein, wenn man 
meine Rechtlichkeit rühmt und mich mit Ehren aller Art überhäuft. 
Und doch wieder treibt es mich, mir selber zu zeigen, daß ich jener Ehren, 
die man mir zuteil werden läßt, auch würdig sein kann, daß ich zwar einmal der 
Versuchung nicht habe widerstehen können, aber doch kein schlechter Kerl bin. Ich 
habe für meine Schuld viel gelitten, lieber Freund, aber ich will Sie nicht länger 
mit der Schilderung meiner Furcht und Angst und Gewissensbisse aufhalten. Hätte 
meine tapfere Frau mich nicht immer wieder aufzurichten verstanden, ich wäre 
unterlegen. 
Ich bin an der Tür des Zuchthauses vorbeigeschlüpft. Mein Verbrechen kam 
niemals zu Tage. Der Lieferant hatte den gefälschten Wechsel nicht weitergegeben 
und ich konnte ihn noch vor dem Fälligkeitstermin einlösen. 
Sie wissen, daß der Prokurist Ihres Vaters, der ihn um sein Vermögen 
gebracht hatte, nachdem er das Geld in kurzer Zeit durchgebracht hatte, sich selbst 
der Behörde stellte und im Zuchthaus starb. Ich aber habe meine Schuld durch 
Liebe zu sühnen gesucht, die ich dem hilflosen Kinde meines verstorbenen Freundes 
zuteil werden ließ." 
„Sie haben Ihre Schuld in wahrhaft königlicher Weise an mir bezahlt! Ich 
werde Ihnen das niemals in vollem Maße danken können!" 
„Nichts davon, lieber Freund! Was aber werden Sie nun sagen, wenn Sie 
fürderhin wieder hören, wie man meine strenge Rechtlichkeit, die so oft gerühmte 
Ehrlichkeit meines Charakters lobt." 
„Ich werde in das Lob des edelsten, besten Mannes, den ich kenne, mit 
einstimmen —." , 
„Und Sie werden fürderhin mit ernsteren Gefühlen, so wie ich es seit jener 
Zeit tue, beten: 
„Und führe uns nicht in Versuchung!"
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.