Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1907 (1907)

Da starb plötzlich Ihre Mutter, eine treffliche Frau, mit der Ihr Vater in 
nur fünfjähriger, aber äußerst glücklicher Ehe gelebt hatte. Ihr Vater war untröstlich. 
Er wollte mit keinem mehr verkehren, selbst vor mir verschloß er sich, und nach 
wenigen Monaten trat er, um nicht immer von neuem auf Schritt und Tritt von 
Erinnerungen an seinen Verlust gestört zu werden, eine größere Reise an. Er bat 
mich, von Zeit zu Zeit nach seinem Kinde — Sie waren damals wohl ein Knabe 
von beinahe vier Jahren — zu sehen, das er überdies der Obhut einer sehr ver¬ 
trauenswürdigen, armen Verwandten, die ihm seit dem Tode Ihrer Mutter die Wirt¬ 
schaft führte, anvertraut hatte. Er hatte nicht hinterlassen, wohin er gereist war. 
Wir hörten monatelang nichts von ihm. Einmal hatte er sich von seinem 
Prokuristen telegraphisch Geld in ein Seebad senden lassen. Ein anderes Mal hatte 
er sich von Ihrer Wärterin, der erwähnten Verwandten, Auskunft über Ihr Be- 
stnben nach einem anderen Orte kommen lassen. Das war alles, was wir von 
ihm hörten. 
Da stand ich plötzlich vor einer geschäftlichen Krisis. Zahlungen kamen nicht 
ein, die Gläubiger drängten. Ich sah mein mit angestrengter Arbeit aufgebautes 
Unternehmen in Trümmer gehen, wenn ich nicht gleich zweitausend Mark zu 
verschaffen wußte. _ . 
Ich war in einer verzweifelten Lage. Zweitausend Mark hätten mich in der 
Krisis retten können! Wäre Ihr Vater da gewesen, so hätte ich mich halten können. 
Die Saison stand vor der Tür. Aller Wahrscheinlichkeit nach mußte sie gut einschlagen. 
Ich hatte bereits große Bestellungen. Ich suchte den Lieferante, auf, der mich am 
meisten drängte. Ich schilderte ihm meine Lage. Er wollte wed.r mit den Forder¬ 
ungen warten, noch gar von neuem die nötigen Materialien für meine Bestellungen 
liefern. Die kleinen Gläubiger waren schließlich vernünftiger, ch lief von Pontius 
zu Pilatus. Hätte ich die Adresse Ihres Vaters gewußt, sc hätte ich telegraphisch 
seine Hilfe erbitten können. 
Der ungeduldige Gläubiger wollte sich mit einem Wechsel Ihres Vaters 
begnügen. Ich sprach mit dem Prokuristen Ihres Vaters. Er konnte mir nicht 
helfen, es ging über seine Instruktion, mir einen Wechsel auszustellen. Ihr Vater 
konnte vielleicht noch wochenlang in der Ferne bleiben. Ich war meiner Sinne vor 
Aufregung nicht mächtig und saß in meinem Kontor, nicht wissend, wo aus 
noch ein. t , . ... , . 
Schon wollte ich den Konkurs bei Gericht anmelden, da kam mir der fürchter¬ 
liche Gedanke, der mir in der ersten Folgezeit schreckliche Qualen bereitete und der 
mir bis heute manche unruhige Stunde verursacht hat: — ich fälschte auf den Namen 
Ihres Vaters einen Wechsel über zweitausend Mark - und war gerettet. 
Damals wußte ich ja in der Aufregung meines Herzens mein Gewissen zu 
beruhigen. Ich sagte mir, wäre Ihr Vater anwesend gewesen, so hätte er mir, wie 
schon so oft, unbedenklich das Geld gegeben. . . . .. 
Bis zum Fälligkeitstermin, der in die Hochsaison fiel, mußte ich ja langst die 
Deckung des Wechsels haben. Bis zu der Zeit mußte Ihr Vater zurückgekehrt sein. 
Jcki würde ihm reumütig ein Geständnis abgelegt haben. 
' Und ich war dessen sicher, daß er mir meine eigenmächtige Handlungsweise 
verzieh Auch die Angst, meine Tat könnte vor der Heimkehr Ihres Vaters offenbar 
werden, suchte ich zu beschwichtigen. Ich brauchte auch in dieser Hinsicht keine 
Furcht zu haben/Kam Ihr Vater nach dem Fälligkeitstermin erst zurück, so konnte 
ich dem Prokuristen dreist sagen, daß Ihr Vater aus mein telegraphisches Ersuchen 
mir das Akzept gesandt habe. Kaum aber hatte ich das Papier aus den Handen 
gegeben, so litt ich entsetzliche Qualen. Täglich lief ich nach dem Geschäft ^hres
	        
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