Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1907 (1907)

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gemacht hat. Und Sie wollen diesen Depotschwindler verteidigen, ihn noch in Schutz 
nehmen?" 
„Mit Nichten, junger Freund! Ich bedaure ihn, wie ich jeden Verbrecher 
bedaure, wenn ich erfahren habe, durch welche Schicksale er auf die abschüssige Bahn 
des Lebens geraten ist. Wir Menschen sind schwach und können alle einmal in 
einem unglücklichen Augenblick zum Verbrecher werden, Sie ebenso wie ich!" 
„Oho, Herr Kommerzienrat, Sie setzen mich in Erstaunen! Ich bekomme 
ordentlich Furcht vor Ihnen!" Ich mußte unwillkürlich auflachen, als ich dies 
sagte, aber der liebenswürdige alte Herr, denn ich seit vielen Jahren als meinen 
Gönner, Förderer, ja Wohltäter verehrte, wurde nur um so ernster. 
„Mein lieber junger Freund," so begann der liebenswürdige alte Herr nach 
minutenlangem Schweigen, das mir im Anblick seiner plötzlich tiefernst gewordenen 
Gesichtszüge zu feierlich erschien, als daß ich es -u unterbrechen wagte, „ich will 
Ihnen eine Geschichte aus meinem Leben erzählen, die Sie selbst, mein junger Freund, 
sehr nahe berührt. Es ist eine Beichte, die ich Ihnen schon längst schulde, die ich 
aber aus feiger Furcht, Sie könnten mich verachten lernen, bis jetzt leider immer 
und immer wieder unterdrückte." 
„Herr Kommerzienrat! Was ich auch hören würde, Sie werden mir stets 
als Muster eines alten Ehrenmannes gelten, als ein väterlicher Freund," den ich 
liebe und verehre, wie ich in meinem Leben keinen Mann geliebt habe!" p; 7 " ^ 
„Hören Sie, hören Sie," wehrte der alte Herr meine Versicherung ^.'"„Bis¬ 
her weiß nur noch meine Gattin von der Geschichte, der traurigsten meines Lebens. 
Sie hat mir verziehen, vielleicht können auch Sie es." 
„Aber wollen Sie nicht lieber ein andermal, später, Sie scheinen lebhaft erregt!" 
„Nein, gleich sofort! Reichen Sie mir Ihre Hand, ich will Sie bei mir fest¬ 
halten, so wie ich Sie seit jener schrecklichsten Zeit meines Lebens festhalte. Es war 
in den Anfängen meiner kaufmännischen Laufbahn. Ich hatte mit geringen Mitteln 
ein kleines Geschäft etabliert, das ganz gut ging und meiner Familie ein bescheidenes, 
aber wohl genügendes Auskommen gewährte! Ihr Vater war mir von der Schule 
her befreundet und ich war um so stolzer auf diese Freundschaft, als sein Bank¬ 
geschäft in wenigen Jahren einen ungeahnten Aufschwung genommen hatte. Seine 
Freundschaft hatte mir durch das kaufmännische Renommee, das Ihr Vater genoß, 
schon viel genutzt. Mir hatte verschiedenmale der Kredit Ihres Vaters wesentliche 
Vorteile in meinem Geschäft gebracht. Er hatte mir stets in der freundschaftlichsten 
Weise ausgeholfen.
	        
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