Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1907 (1907)

aerne ein Sträußchen pflücken. Dort blühen so herrliche wilde Rosen," sprach Erna. 
92L« Sie bitte voran, ich komme sofort nach." Nun war das albern Lachen 
der Backfische verklungen, und Erna stand allein inmitten des Waldeszaubers. 
Gewültche Baumriesen ra t dichtbelaubten Kronen und bemoosten stark hervortretenden 
Win-relnrinasumber. Der blaue, wolkenlose Himmel darüber. Und lieblicher Vogel- 
aesana und Waldesduft allüberall. Dort blühten die wilden Rosen, die sich empor- 
rankten am knorrigen Stamm einer uralten Eiche. Erna atmete tief auf und vergaß 
in dieser Pracht für Augenblicke ihr Weh. Sie pflückte Rosen und blaue Glocken¬ 
blumen Farrnkraut und duftiges Jelängerjelieber. Schon hatte ste einen ichonen 
großen Strauß und wollte geschwind ihren Begleitern folgen. Aber es war zu schon 
bier in der trauten Waldeseinsamkeit. Sie blieb noch und weidete sich an den 
Wundern der stillen Natur. Ein Quell, hell und glitzernd wie lauteres Silber, 
rauschte da zu ihren Füßen. Sie lauschte seinem eintönigen Ge ang. Dabei ließ ste 
sich auf est/der bemoosten Wurzeln nieder. Bald hört, te viele leise flüsternde 
Stimmen, bald sah sie ein buntes verschwommenes Bild, und die alten Riesen 
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neigten sich zu ihr und raunten ihr geheimnisvolle Worte ms Ohr. schon horte sie 
das Rauschen des Quells nur noch im Traum, denn sie war, müde vom nächtlichen 
Wachen, vom Weinen in stillen Stunden, müde von der drückenden Schwule des 
heißen Junitages, fest eingeschlafen. 
Als die Schläferin erwachte, war es spat am Nachmittag. Schnell sprang ste 
auf strich ihr wirres, blondes Lockenhaar aus der weißen Stirn und schickte sich an, 
den Begleitern hurtig nachzulaufen. Der Pfad dort müßte am schnellsten zum Berge 
führen auf dem die Klosterruine stand. Ohne sich lange zn besinnen, lief ste aus 
enem vorwärts. Aber der Wald wurde dichter und dichter. Mächtige Tannen 
wechselten mit Jahrhunderte alten Eichen und Buchen. Der Pfad war kaum noch 
ru erkennen, sie befand sich mitten in einem wilden Dickicht. Sie eilte züruck 'voller 
Angst und Sorge. Aber wohin sie lief, überall endloses Dickicht. 
Erna war also vollkommen verirrt, und es gab keine Möglichkeit mehr für sie, 
die Haltestelle noch rechtzeitig zu erreichen unv um acht Uhr daheim zu fein. >;m 
Osten türmten sich schwarze Wolkenmassen auf, und immer deutlicher wurde das
	        
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