Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1907 (1907)

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„Sie waren eben doch nicht an der rechten Quelle," lächelte Burkhardt verschmitzt. 
„Wieso, — wie meinen Sie das?" 
„Nun, — wären Sie doch zu mir gekommen, — ich 
„Wie?" schrie Arno, als verstehe er nicht recht. 
„Ich meine, Sie hätten ja bei mir anfragen können!" 
„Herr Burkhardt, — wärs möglich — Sie — Sie wollten?" 
„Euch das Geld geben — und warum nicht?" 
Arno griff sich an die Stirn, er glaubte noch immer, nicht recht gehört zu 
haben. Der Wechsel- war doch zu jäh, zu überraschend. 
Marianne flog dem Vater an den Hals, sie weinte und lachte zugleich: „Mein 
lieber, lieber Vater!" 
„Ja, Kind, was kümmerk dich denn eigentlich diese ganze Sache?" lächelte 
der Medizinalrat seiner Tochter zu. 
Diese wurde glühend rot, eilte zur Tür hinaus und hätte dabei Brigitte fast 
umgerannt. Sie faßte die Alte um die nicht gerade zierliche Taille und wirbelte ein 
paarmal mit ihr im Kreise herum, so daß dieser fast der Atem ausging und sie sich 
auf den nächsten Stuhl setzen mußte, um zu verschnaufen. 
„Aber bestes Kindchen, was ist Ihnen denn?" fragte Brigitte erstaunt. 
„Freuen Sie sich doch auch ein wenig," rief Marianne der Alten zu, „Herr 
von Ried braucht nun Fräulein Branton nicht zu heiraten!" 
Brigitte schaute Marianne recht mißtrauisch an, als fürchte sie für deren Ver¬ 
stand; sie konnte gar nicht begreifen, warum sie sich über diese Nachricht so freuen 
sollte. Doch plötzlich schien ihr ein Licht aufzugehen. Sie tippte sich energisch an die 
Stirn und murmelte: „O Brigitte, was bist du dumm geworden." 
Ein Jahr ist vergangen. Wieder steht die Erde in Blütenpracht, als hätte sie 
sich eigens zu dem Feste geschmückt, das man heute auf dem Gutshofe des Herrn 
von Ried feiert. Die Knechte und Mägde stehen in ihrem Sonntagsstaat mit er¬ 
wartungsvollen Gesichtern da, jetzt geht ein Flüstern durch die Menge: „Sie kommen, 
sie kommen," tönte es von aller Lippen. Eine Kutsche rollt in den Hof, der Schlag 
wird aufgerissen, Arno springt heraus, mit leuchtenden Augen hilft er seiner Braut 
beim Aussteigen, es ist Marianne. Gar lieblich sieht sie aus im Myrtenkranz und 
Brautschleier. Glückstrahlend schaut sie zu dem stattlichen Manne auf, der jetzt den 
Arm um sie schlingt und ihr zuflüstert: „Heute führe ich dem alten Hause einen 
kostbaren Schatz zu, nun wohnt das Glück wieder hier, weil ein Engel drinnen waltet!" 
„Schmeichler du!" Marianne drohte ihm lächelnd mit dem Finger. 
„Wie ein lichter Engel des Friedens erschienst du mir von der ersten Stunde 
an, da ich dich sah," beteuerte Arno bewegt. 
Lärmend folgten jetzt die übrigen Hochzeitsgäste; eine glänzende Gesellschaft 
versammelte sich gleich darauf in dem Speisesaal, dessen geschnitzte Eichenmöbel das 
ganze Gemach ungemein reich erschienen ließen. 
„Säßen wir nur erst im Eisenbahnkoupe und hätten den ganzen Trubel hiüter 
uns," klagte Arno leise seiner jungen Frau. 
Diese drückte zärtlich seine Hand. 
„Laß gut sein, Liebster, auch das geht vorüber." 
Mariannens Vater war in der besten Laune. Er unterhielt sich vortrefflich, 
aber als die junge Frau den Brautschleier mit dem Reisekleide vertauscht hatte und 
abschiednehmend vor ihm stand, da ward ihm doch recht weh ums Herz. 
„Werde glücklich, mein Liebling," flüsterte er 'bewegt, „das ist der einzige 
Wunsch, den ich noch habe."
	        
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