Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1907 (1907)

66 
Prachendors blieb stehen, klemmte sein Monokle ein und sah dem Wagen mit einem 
so durchbohrenden Blicke nach, als wollte er durch die Rückwand des Fuhrwerks 
dringen. Dann, sein Monokel fallen lassend, murmelte er: „Ah! die schöne Ungarin 
Irma Casazzi! — Ah! Ah! welch ein entzückendes Weib! Ah! diese Augen! Ein 
paar Vesuvfunken! Ah! Sie hat mich erkannt, sie hat mich gegrüßt! — Das wäre 
eine Frau für mich! Und dann ihr Reichtum! Oh! die könnte mich retten! Ein 
Prachendors! Wie das klingt! Feudaler Titel! Was mag er wert sein! — Oh! 
diese Augen!" 
Weitergehend sah er sich noch einmal um nach dem Gefährt, welches dieses 
dreifache Juwel barg, als er einen andern ihm entgegenkommenden Herrn anlief: 
„Pardon! Oh! Pardon, mein Herr," rief er; doch der Angeredete hatte ihn erkannt 
und antwortete: „Teufel auch, Baron! Was ficht Sie an, daß Sie am hellen Tage 
mit Ihren besten Freunden zusammenrennen! He! Prachendors, wohl wieder eine 
Dame in Sicht! Ha! —" 
..Geraten, geraten, teurer Graf," antwortete v. Prachendors, dem Herrn die 
Hand reichend. „Habe soeben eine reizende Erscheinung bewundert, Irma Casazzi, 
die superbe Ungarin!" 
„Ah! »Cher ami,« das ist ja die Dame, mit der Sie neulich beim Gesandten 
einigemal tanzten und in ziemliches Feuer gerieten! Oh! Baron! Baron! Das ist 
ein Goldkäfer!" 
»Parbleu,Vicomte! Dieselbe! Ganz dieselbe! Wissen Sie, ich habe eine köstliche, 
eine feine Idee! Ah!" 
„Eine Idee! Was Sie sagen! Eh! Eh!" 
„Wahrhaftig! Ich werde mich um die Hand dieses Goldkäfers bewerben." 
»Sapristi!« 
»Parole d’honncur! teurer Graf! Das werde ich! — Was denken Sie! Ein 
Prachendors!" 
„Ich denke. Sie werden einen pyramidalen Korb bekommen." 
„Ich lasse es darauf ankommen! Sie wissen doch, Graf — nach mir die Sündflut." 
„Dann gratuliere ich, Baron! Aber beeilen Sie sich." 
„Verlassen Sie sich darauf! Sie hören bald von dieser Sache! Adieu, Vicomte! 
Guten Tag!" 
»Bon jour! und viel Glück!" — Die beiden Herren gaben sich mit den 
üblichen Verrenkungen der Arme die Hände und trennten sich. 
Herr von Prachendors begab sich in seine Wohnung. Sein Diener öffnete 
ihm. „Jean!" herrschte er ihn an, „haben Sie ordentlich eingeheizt?" 
„Zu Befehl, Herr Baron!" 
„Es ist gut, melden Sie sich in einer halben Stunde, Sie müssen dann ein 
Billett besorgen." 
„Zu Befehl, Herr Baron!" 
Jean half seinem Herrn Rock und Schuhe ausziehen, v. Prachendors trat vor 
dem Spiegel, musterte seine Gestalt, drehte gewaltig an seinem Schnurrbart, machte 
eine graziöse Bewegung und sagte: „Also, versuchen wir es! — Einmal muß es ja 
doch sein! Eh. eh! Der Graf hatte am Ende Recht! „Beeilen Sie sich," sagte er. 
- Ich werde diesem Engel eine Gratulation zum neuen Jahre senden. Hm! hm! 
vielleicht ein Gedicht!" — Er setzte sich an den Sekretär und starrte ins Kamin¬ 
feuer: »Diable! jetzt möchte ich ein Gedicht machen! — Hm! Mir fällt gar nichts 
ein! Scheußlich, wie schwer mir das Dichten wird! Vor zehn Jahren schrieb ich 
noch zwei Dutzend Liebeslieder pro Tag mit spielender Leichtigkeit, und jetzt bringe 
ich nichts mehr zu Wege! Eh! Famoser Gedanke!" — Er warf die Feder hin und
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.