Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1907 (1907)

€in Schiffsbrand. 
Aus betn Tagebuch eines alten Seemannes. 
Z war im Jahre 18.., als ich meine dritte Seereise machte. Die Mittel- 
wache war abberufen; indem ich in die Kajüte hinabstieg, hörte ich, wie 
tier vom Steuerrade abgelöste Matrose seinem Maaten die Bemerkung 
machte: 
„Christoph, der Wind ist in dem letzten halben Glase vier Striche 
herumgesprungen — halt' die Augen offen, 's wird stürmisch, und vor 
\ Morgen werden wir die Mütze voll haben." 
Ehe ich mich in meine Decke eingewickelt hatte, ward der Kapitän schon auf 
das Verdeck geholt; er gab Befehl, die Mannschaft zu wecken, um die Segel zu bergen. 
Die Bewegungen des Schiffes bezeugten die vermehrte Stärke des Windes; es 
stampfte und rollte in den Wellen, Stühle und andere bewegliche Gegenstände in 
der Kajüte verließen unfreiwillig ihre Plätze, und das Brausen und Zischen der 
Wogen, was ich deutlich durch des Schiffes Breite hörte, schien den erwarteten 
Sturm zu verkünden. 
Aus einem festen, zwei- bis dreistündigen Schlafe wurde ich vom Kajüten- 
Wächter geweckt, der des Kapitäns Nacht-Fernrohr holen wollte und gegen mein Bett 
stolperte; ich fragte, was es gäbe und erhaschte die Worte: 
„Ein brennendes Schiff in Sicht!" 
Schnell eilte ich auf das Deck; luvwärts von uns — wie weit entfernt, konnte 
ich nicht genau bestimmen — war eine Flamme sichtbar, flackernd und leuchtend, 
den Horizont für Augenblicke erhellend, dann wieder in Dunkelheit sich verlierend, 
was, wie wir später wahrnahmen, von dicken Massen Rauchs hervorgebracht ward, 
welche von Zeit zu Zeit aufstiegen. 
Nacht und Tag wechseln in der heißen Zone fast augenblicklich mit einander 
ab; der anbrechende Tag ließ uns ein brennendes Schiff entdecken, welches vor dem 
Winde auf uns zukam. , , . ■ « 
Wir hielten uns windwärts und als wir m Pistolenschußweite voruberkamen, 
sahen wir ein großes Boot, das hinten am Schiffe befestigt war, voll von der Mann¬ 
schaft und von Passagieren, sich hoch über die Wellen heben. 
Die Unglücklichen hatten ein dichtgerefftes Segel, um das Boot im Tanze der 
Wellen zu stützen und um nicht umzustürzen, bis wir zu ihnen kommen konnten; 
aber Wind und Strömung bewegten es in entgegengesetzter Richtung, es gehorchte 
dem Steuer nicht. ^ t, „ , _ . .. . _ n. 
Die Matrosen griffen zu den Rudern, aber die hohe See spottete ihrer An¬ 
strengungen, uns nahe kommen zu können.
	        
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