Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1904 (1904)

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»Gute Nacht, Tonerl, Tonerl, Gute Nacht!" 
_ Das stachelte endlich meine Neugier. Ich hörte keine Antwort, sah kein liebend 
Madel sich aus dem Fenster des gespenstigen Häusleins beugen, und der alte Nacht¬ 
wächter, dem ich einmal den Weg vertrat, sagte auf meine Frage: 
„Was ist denn das für ein Tonerl!" 
„Di woas, des is mei Amt." 
Eines Abends, als es zufällig ein wenig geregnet und kein Fremder zum 
Nachtlager angekommen, erzählte ich mein Erlebnis der alten Wirtin zum Posthorn, 
neben der die Braune und die Blonde, ihre Töchter, spannen. 
Da begann Gizi, die Braune, nach einer stillen Weil': 
„Das will ich schon deuten, wenn Ihr G'duld habt und kein' Störnna von 
außen kommt." 
Sie trank ein wenig von meinem Roten und begann leise beim Summen der 
Räder: 
rfSut Zeit, als Tirol bayrisch war und unter dem Hofer wieder österreichisch 
werden sollte, und sich gegen die französischen Generale Lefebvre und Baraguay 
d Hrllrers erhob, da lebte hier im Orte ein Jüngling, Tonerl Tereol, der Sohn einer 
armen Witwe. Der Bursch war ehrgeizig und hoher Pläne voll, besonders als die 
Namen der großen Patrioten an sein Ohr schlugen. Es nützte ihm sein schönes 
Wollen aber nicht viel, denn sein Können war schwach, da er einmal, von der Alm 
herabgestürzt, auf eines Felsens scharfe Kante aufgeschlagen war und das rechte Bein 
gebrochen hatte. Nie wurde es ihm recht geheilt. Er blieb ein Krüppel, immer an 
einer Krücke durchs Dorf hinkend und ein Spott der grausamen Mädchen, die lieber 
mit gradbemigen Menschen ein G'schbusi hatten. Er mochte besonders die feine Marei, 
oev Drtsnteisters Tochter (eiben, bie ihm in bet Seele gut war, boch ihn wegen 
seines Gebrechens unb seiner Armnt nimmermehr geheiratet hätte, selbst wenn bie 
stolzen Eltern ihre Einwilligung gegeben. — Da war es denn Tonnerls einziger 
Trost, als die meisten mannbaren Leute gegen den Landesfeind aufbrachen und er 
nicht mitkonnte, daß er doch an Mareiles Fenster vorüberschleichen und ihr hie und 
da einen Strauß Edelweiß oder Alpenveigerln hineinschleudern durfte, die er mit 
doppelter Lebensgefahr brach; denn ihm wurde das Klettern nicht so leicht, wie Ziegen 
oder gar Gemsen. Ost verkaufte er seine Bleamerln im Thal, hackte Holz für die 
Nachbarn und verdiente sich sein und seiner alten Mutter Leben durch allerlei Hand- 
leistungen. Da lag der arme Bub einmal im schlaf, und da hatte er einen kuriosen 
Traum. Der heilige Leonhard stand vor ihm am Bette und rüttelte ihn wach und 
sprach zu ihm: „Wach auf, Touuerl! Die Zeit ist da! Die Franzosen kommen! 
Denk an den Paß; wenn sie den ungehindert erreichen und durchschreiten, ist unser 
schönes Land ihnen, und Gott weiß, was sie dann damit anfangen!" 
Touuerl wußte nicht wie ihm geschah. Kalter Schweiß rann ihm von der 
Stirn, bebend stand er auf und sagte nur: 
„Vaterland. ..." 
' Nachtwandelnd schritt er zur Tür hinaus, nachdem er dem alten Mutterl einen 
Kuß auf die Stirn gedrückt. Durch wohlbekannte, schwer zu ersteigende Steige, hoch 
emporfuhreude Höhen, grab aufstrebende Grate hinan, immer an seiner Krücke 
humpelnd, so gieng er aufwärts. 
r ,, ®ie. tiroler hatten damals auf allen Höhen große Holzstöße errichtet und in 
hohlen Baumen oder sonstwie Brennmaterial bereitet und aufgeschlichtet. Wer Gefahr 
witterte sollte ob den Paßhöhen die Scheiter entflammen machen, und hohe Feuer¬ 
saulen, das Bolk zu den Wassen rufend, follten alsbald von Berg zu Bera mit 
Flammeuzungeu reden: a
	        
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