Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1904 (1904)

Dönhoff fluchte vor sich hin: „Vielleicht ist er bei Franz Schütte. Auf jeden 
Fall wird er nachkommen," dachte er. Bor Beginn der Fahrt aber durchsuchte er 
das Schiff in allen Ecken, warf sogar einen Blick in den Verschlag der Semläufer, 
ohne Heinrich zu finden. Dann trat er aus Steuer. 
„Los!" 
Die Leinläufer zogen an. Langsam bewegte sich das Schiff stromaufwärts. 
Dönhoff machte sich Vorwürfe. Er hätte schon am Nachmittag fahren sollen. 
Jetzt fragte es sich, ob er noch in's Gebiet der Kohlenzechen gelangen würde, denn 
die Ruhr stieg reißend. Er würde vielleicht den Gewinn einer Fahrt verlieren. 
Sein Zorn wuchs und lenkte sich gegen die nnschuldigen Seintäufer, besonders gegen Karl. 
„Zieht fester," schrie er, „Ihr faulen Hunde", ich werde Euch Beine machen!" 
Nach einer Stunde war der Fluß derart gestiegen, daß das Schiff nicht mehr 
vom Fleck kam. Nachdem sie die Dokknmer Schleuse passiert hatten, sah er sich 
genötigt, anlegen zu lassen. Er ließ keinen Anker auswerfen, sondern nur die Seine 
an einem Ring der Ufermauer fest verknoten. Im Schleusenwirtshaus wollte er das 
Fallen des Wassers abwarten, was noch in der Nacht eintreffen konnte. 
Die Seinläufer waren völlig erschöpft und durchnäßt und boten einen elenden 
Anblick, der ihn säst einen Augenblick rühren wollte. Dann erinnerte er sich aber 
wieder des Vorfalls im Anker. 
„Karl, Du bewachst das Schiff," rief er, und zum andern gewendet: „Du 
kannst mit hereinkommen!" 
„Daß Du Acht gibst, wenn mein Sohn kommt," schrie er noch von der Schenktür 
zurück durch den heulenden Sturm. 
Karl setzte sich an den Mastschuh, der Schlagseite gegenüber, wo er einigen 
Schutz vor dem Regen hatte und den Seinpfad überschauen konnte, der von den 
breiten Sichtstreifen erhellt wurde, die aus den. Fenstern der Schenke fielen. 
Das Wasser rauschte und brauste ant Bug des Kahnes, plätscherte unter dem 
Boden und klatschte an die Sangseiten. Er sorgte sich um Heinrich, hauptsächlich 
wegen der Fichterniß, die so dicht war, daß er die regennassen Deckplanken des 
Kahnes kaum einige Fuß weit zu überblicken vermochte. Obgleich die Lust lau und 
milde wehte, fror ihn doch in feinen triefenden Kleidern; der Bruder hatte ihn nicht 
so gestellt, daß er einen zweiten Anzug besaß, um sich umkleiden zu können. Es 
hätte' auch nicht viel geholfen. 
In der Schenke faß Heinrich Dönhoff mit dem Seinläufer ait emem Tisch, denn 
es war keine andere Gesellschaft vorhanden, und der Wirt schnarchte in einer Ecke. 
Der Seinläufer war stolz über die ihm widerfahrene Ehrung und glaubte sich 
nicht besser dafür erkenntlich erweisen zu können, als, indem er seinen Gefährten nach 
Kräften herabsetzte. Eine Aeußerung seines Herrn hatte ihm diesen Weg gewiesen 
und seine Zustimmung bestärkte ihn in dem Bewußtsein, die rechte Richtung einge¬ 
schlagen zu haben. 
Allmählich ward die Sprache des Verläumders stammelnd und undeutlich, denn 
der Branntwein, den der Schiffsherr spendierte, war gut. Schließlich lag der Sein- 
läufer aller Sinne ohnmächtig ans den schmutzigen Dielen des Bodens und Heinrich 
Dönhoff war mit seinen Gedanken allein. 
Sie beschäftigten sich mit den Ereignissen des Nachmittags, mit dem Ausbleiben 
des Sohnes, der wohl wegen des schlechten Wetters bei den Mülheimer Verwandten 
geblieben war, und kehrten beharrlich und hartnäckig stets zu ihrem Ausgangspunkt zurück. 
Wie er diesen Bruder haßte! Zwar vermeinte er ihn all' die Jahre, die jener 
ihm diente, ihn gehaßt zu haben, das war aber fast Siebe gewesen gegen das Gefühl,
	        
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