Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1904 (1904)

schwankenden Schritte bewiesen hinlänglich, daß die Röte seines Gesichtes nicht allein 
ans Rechnung der Kälte zu setzen war. Die Augen standen ihm stier im Kopf und 
die Stimme lallte. Er versuchte Stiua zu umarmen und wollte ihr einen Kuß geben. ' 
Die junge Fran stieß ihn aber zurück. „Du bist betrunken, Heinrich! Scheinst mit 
Franz Schütte wieder in den Kneipen herumgelungert zu haben." 
„Das geht Dich nichts an. Du — Du —" 
„Das geht mich sehr viel an," gab sie erregt zurück, „ich bin Deine Frau." 
Darauf schlug ihr der Trunkene mit der Faust iu's Gesicht, daß das Blut 
aus Mund und Nase schoß. 
Karl stürzte sich auf den Rasenden, der wie ein Tier zu wüten begann. Erst 
mit Antons Unterstützung gelang es ihm, jenen zu bezwingen und in's Bett zu schaffen. 
Als er nach einer Weile wieder mit -em Knecht in die Küche trat, wo die 
Mißhandelte nicht mehr weilte, sagte dieser trocken: 
„Das soll nun wohl noch öfter so kommen. Die Schiffer sind alle so." Und 
treuherzig fügte er hinzu: „Ihr hättet die Stiua haben müssen; er hat sie ja doch 
nur des Geldes wegen geheiratet. Aber freilich, Ihr seid der Jüngere und habt 
kein Eigen." . 
Karl stürmte in das Schneetreiben hinaus. „Das soll nun wohl noch öfter 
so kommen!" rief es in seinem Innern mit grellen Tönen. Das war die Stimme 
der alten niedergetretenen und mißhandelten Liebe, die wieder in ihm lebendig ward. 
Ohne P an und Ziel lies er durch die Nacht. Bald sank er bis zu den Knieen 
in den weichen Jungschnee, bald klang hell der vom Winde reingefegte festgefrorene 
Boden unter seinen eilenden Tritten. 
Er schlug unwillkürlich den Weg ein, den er tagsüber so oft zurückgelegt hatte; 
durch den Buchenwald, den Hang hinab, den Fluß entlang, bis- winselndes Hunde¬ 
geheul ihn aufschreckte. Er war au Tante Traudchens Hof. Keuchend nnd schwei߬ 
bedeckt hastete er über die Wiese, zvifcheu bett bizarr gekrümmten Obstbäumen hindurch, 
deren Stämme wie schwarze erfrorene Schlangen auf den leuchtenden Schnee zu liegen 
schienen, und'sprang mit einem Satz in die Küche, wo das ,Gesinde beim Besperbröt 
saß, Tante Trandchen oben am Kopfende des Tisches. 
„Was gibt's?" schrieen alle zugleich. 
„Was gibt's?" wiederholte Taute Trandchen und brachte mit einem scharfen 
Blick die Dienstleute zum Schweigen. 
' „Er hat sie geschlagen," keuchte Karl. 
„Der Heinrich die Stina? Das macht.nichts, das ist zu Zeiten ganz^gesund," 
eutgeguete Taute Traudchen. „Je mehr man den Teig schlägt, desso besser wird 
das Brot." 
Durch das-uuauslöschliche Gelächter, das sich darauf erhob, schrie sie ihm weiter zu: 
„Komm, setz' Dich nnd iß einen Bissen mit uns!" 
Karl aber schlich schon müden Schrittes 'denselben Weg zurück, den er gekommen 
war. Er grübelte und sann, überlegte und dachte noch den ganzen Abend hindurch 
und auch' während der ganzen Nacht, indeß der Trunkene im Schlafe schrie uud 
stöhnte. . Da ging ihm nochmals Alles durch den Sinn, was er noch von seinem 
Leben zu hoffen hatte. Es war nicht viel; Alles was er erlangen konnte war eine 
Art Freiheit, wenn er sich von feiner Sippe lossagte^nnd auf sich selbst stellte; baust 
ein hinreichend Stückchen Brod und eine ungeliebte Frau. Ja, lieben würde er nie 
mehr können, bas war gewiß. Seine Liebe würbe, sich in den aufre beudeu Kämpfen 
mit seinem Willen über kurz ober lang erschöpfen, denn Stina war ja die Fran feines 
Bruders. Wer aber konnte es'ihm wehren, an sie zu beulen wie an eine gute 
Schwester, für sie zn sorgen unb sie zn schützen vor ihrem Manne, bet, ein Trunkenbold
	        
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