Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1904 (1904)

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Aufsehen erregte es zur Zeit, als der Patriarch dem Könige von Italien bei dessen 
letztem Aufenthalte in Venedig einen Besuch abstattete Die Zuge des neuen Papstes 
sind gewinnende, mildfreundliche und vornehme. Sein Pontifikat wird gewiß allseits^ 
besonders aber wohl in Italien selbst, mit Freude begrüßt werden. Wie er bisher 
nur eine rein kirchliche Karriere hatte, so dürfte Sarto auch als Papst der gewünschte 
„kirchliche" Papst sein, der kein Recht der Kirche aufgibt, aber Friede pflegen wird 
mit Fürsten und Staaten. Daß er aus dem Schoße des Volkes hervorgegangen 
ist, darf man wohl als Gewähr dafür ansehen, daß er in die Fußstapfen Leo XIII., 
des „sozialen und „Arbeiterpapstes" treten wird. Nach keiner Seite exponiert, in 
keinerlei politischer Tätigkeit beschäftigt, wird er allseitiges Vertrauen finden. Unter 
den als Papapili in der gegnerischen Presse Genannten fand sich Sarto nur beiläufig 
erwähnt, seine.Kandidatur wurde als ziemlich „aussichtslos" hingestellt. Daß er 
dennoch gewählt wurde, ist uns ein Beweis, daß seine Wahl nicht Menschen- nicht 
Diplomatenwerk war, sondern die reife Frucht langer unb ernster Beratungen der 
Kardinäle, die babei nur Gottes Ehre unb ber Kirche Nutzen im Auge hatten. 
Mit ber am Sonntag ben 9 August erfolgten Krönung ist bas neugewählte 
Oberhaupt ber Kirche, ber jetzige Träger ber breifachen Krone, Papst Pius X. in 
ben Vollbesitz seiner alle fünf Weltteile umsassenben geistigen Macht getreten. Dies¬ 
mal erfolgte bie Krönung im Petersbome selbst unb nicht wie bei Leo XIII. in ber 
Sixtinischen Kapelle. 
Der Sohn bes Gerichtsbieners von Riese ist Papst geworben! Er ist keiner 
von ben päpstlichen Diplomaten, keiner von ben vielgenannten Pcipcibili; er würbe 
gewählt, nicht weil es irgenb eine Politik so wollte, sondern weil der göttliche Rat¬ 
schluß ben Entschluß ber Karbinale so gelenkt hat. 
Das Wappen Pius X. ist in brei horizontale Felber geteilt. Im Silber- 
grunbe bes obersten prangt ber Markuslöwe. Dann erblickt man im blauen Mittel- 
selbe einen fechsstrahtigen Goldstern. Im untersten gelbe steht ein breiarmiger Anker 
auf Meereswogen in natürlichen Farben. 
Einen gütigeren Papst, als Pins X. hätte bie Welt kaum be¬ 
kommen können unb seine Frömmigkeit ist wahrhaftig ein ignis ardens. Als 
er Patriarch würbe, ba erschien auch sein Mütterchen zn ber großen Feier. Die 
einfache alte Frau hatte bisher int Leben immer nur ein Kopftüchelchen getragen; 
zu dem großen Ehrentage ihres Sohnes unb in ber Meinung, ihm nicht etwa als 
Provinzlerin burch ihr Erscheinen eine Schande zu machen, hatte sie sich einen 
städtischen Hut ausgeliehen und erschien damit zu der Feier. Als der Patriarch sein 
Mütterchen in dem ungewohnten Kopfputz sah, ahnte er mit seinem Gefühle die 
mütterliche Sorge, der Sohn könne sich sonst am Ende ber Mutter schämen. 
„Mütterchen, ber Hut muß weg, nehmt euer Kopftuch wieber, ich bitt’ euch barunt! 
Shr seid mir so viel lieber!" bat er bie Mutter unb er gab mit seinen Bitten nicht 
nach, bis seine Mutter unter all ben vornehmen Damen unb Herren ihr länbliches 
Kopftuch wieber umgenommen hatte. 
Uns Oesterreichern ist Kardinal Sarto, ber selbst bis ins Mannesalter noch 
Oesterreicher war, immer mit auszeichuenber Freundlichkeit entgegengekommen. 
Ein Charakterbild Pius X. Der jetzige heil. Vater genießt den Ruf 
außerordentlicher Festigkeit; er hat in seiner Kirchenprovinz eine reiche Tätigkeit ent¬ 
faltet. Unter feinen Auspizien kam zwischen der gemäßigten Stadt und Landpartei 
ein Bündnis znstanbe. _ Er war in hohem Grabe populär bttrch bie Liebeuswürbigkeit 
seines Wesens, welche jebwebem gestattete, sich ihm zu nähern, sowie burch seine un¬ 
erschöpfliche Milbtätigkeit gegen bie Armen, burch bereu Unterstützung er häufig selbst 
in Verlegenheit geriet.
	        
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