Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1904 (1904)

macht das matte Licht im Zimmer, Exzellenz." „Nein, Sie müssen sich schlafen 
legen, liebe Schwester, Sie sind sehr ruhebedürftig. Es soll Sie mein Bedienter 
oder sonst wer ablösen, hören Sie, Schwester ?"_ Als sie nicht gleich Miene machte, 
zu gehorchen, richtete er sich einen Augenblick im Bette eins unb wies sie hinaus 
aus bent Zimmer. Er fiel aber wieber bald zurück ächzend und stönend. — Mit 
einem raschen Satze war die Schwester beim Bette und sagte: „Soweit find wir 
noch nicht, Exzellenz, daß Sie sich so aufregen dürfen. Ich werde schön folgen und 
gehorsam fein, wenn sich Exzellenz wieder ruhig niederlegt und liegen bleibt." Und 
sie hielt ihn mit einer Hand etwas in der Höhe, mit der anderen richtete sie das 
Kopfpolster zurecht. 
„So, Exzellenz, jetzt bitte wieder ruhig weiter zu schlafen, es ist schon spät. 
Wenn man krank ist, muß man schön folgen und nur auf sich selbst denken." Der 
Kranke stieß einen schweren Seufzer aus und blieb ruhig liegen. Die Schwester 
ging hinaus in das anstoßende Zimmer und betete wieder weiter. Es mochten 
10 Minuten vergangen sein, als die Schwester wieder nachschaute. Der Kranke lag 
wach im Bette. „Sagen Sie mir, Schwester, wie lange sind Sie schon bei den 
Kranken?" fragte er. „Vor fünfundzwanzig Jahren bin ich gerade am Neujahrstage 
zum erstenmale als Krankenwärterin verwendet worden, heute vor 25 Jahren." „So 
ist heute schon Neujahr?" „Seit einigen Minuten." Vor dem Hause brüllten 
einige Betrunkene „Prosit Neujahr". Der Kranke erschrak. „Wie gut sind Sie, 
Schwester, gegen mich — ich' habe Ihnen viel zu schaffen gemacht. So lange bin 
ich schon krank. 25 Jahre in den Krankenstuben! Schrecklich, fürchterlich, Tag und 
Nacht immer um Kranke sein müssen. Und was bekommen sie dafür?" „Ich, 
nichts — Gott wird miss einmal lohnen, wenn ich meine Pflicht erfüllt und den 
Kranken etwas Gutes getan habe." Der Minister schüttelte mit dem Kopse und 
drehte sich auf die andere Seite. Die Schwester wollte sich entfernen. „Bleiben 
Sie bei mir, Schwester, Ihre Nähe tut mir so wohl — einige Minuten noch, dann 
aber müssen Sie schlafen gehen," flüsterte wieder der Kranke. „Tun Sie das alles 
gern, was Sie an den Kranken tun, oder . . . ." „Exzellenz, da müßte ich keine 
Lieb' im Herzen zu Gott und den Menschen und kein Herz im Leibe haben, wenn 
ich nicht täte, was ich tun kann, für die armen, hilflosen Kranken. O Exzellenz, 
es gibt so Viele, die Niemanden haben, der ihnen helfen würde. Niemanden, denen 
am Kranken, an feinem Leben oder an seinem Sterben etwas liegt, keine Mutter, 
keinen Vater, keine Geschwister, keine Frau, keine Kinder, keine Freunde - und die 
es scheinen, sind es nicht. Darum sind mir auch die ärmsten und verlassensten 
Kranken die liebsten, und ich bete auch alle Tage zu Gott, daß ich einem solchen 
armen Geschöpfe meine Hilfe und meinen Tr^st anbieten kann," sprach feurig die 
Schwester. Des allmächtigen Ministers Augen waren feucht geworden. Er hieß die 
Schwester schlafen gehen. Sie ging wieder in das Vorzimmer. Nicht lange darnach 
klopfte der Freiherr wieder an die Mauer. Philomena stand wieder vor seinem 
Bette. „Bleiben Sie doch lieber bei mir, Schwester, ich fürchte mich allein, ich 
fürchte mich fast vor mir selber. Sie müssen mein Schutzgeist sein. Sie haben ein 
so edles Herz." „Nichtwahr, es ist heute Neujahrsanfang?" nahm er wieder das Wort 
und lächelnd streckte er seine abgezehrten Arme aus, um der Schwester zu gratulieren. 
Sv weit und lange er zurückdachte, einen so aufrichtigen Glückwunsch, einen so vom 
Herzen kommenden Glückwunsch am wenigsten zum Neujahr hatte er noch nie dar¬ 
gebracht, auch nie — empfangen. Wie er vom Herzen kam, ging er auch zum 
Herzen. Eine fchöne, eine der wertvollsten Perlen hatte sich aus dem Grunde des 
Herzens gelöst und eine große Träne rollte über das Aug. der Schwester. Kein 
Diamant kann schöner strahlen, im schönsten, reichsten Lichtschmucke nicht, als diese
	        
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