Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1903 (1903)

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Lange sprachen sie von der Zukunft, die so glückverheißend vor ihnen lag. 
Am folgenden Morgen raunte es Einer dem Andern zu, daß im Herrenhause 
ein kostbarer Diamantschmuck gestohlen worden sei, und daß sich der Verdacht gegen 
den alten Konrad Grüner richte. Zwar offen sprach man nicht davon, denn die 
gnädige Frau hatte das streng untersagt; unbegreiflicher Weise wollte sie auch von 
einer Anzeige nichts wissen. Sie beharrte dabei, der Schmuck müsse sich wieder 
finden, und sie möchte nicht, daß Unschuldige unter so schwerer Anklage zu leiden 
hätten. Auf ihren ausdrücklichen Befehl unterblieb die öffentliche Meldung des 
Diebstahls. 
So sehr Dr. Rottner auch gegen eine Anschuldigung des alten Grüner protestirte, 
man schenkte ihm wenig Glauben, denn die Dienstboten versicherten übereinstimmend, 
das Konrad Abends spät noch im Herrenhause gewesen sei, während doch die gnädige 
Frau behauptet hatte, daß der Schmuck gegen Abend sich noch in ihrem Besitz befand. 
Wer die Sache unter die Leute gebracht, wußte Niemand, auch wollte Keiner den 
Verdacht zuerst ausgesprochen haben, allein, man zischelte überall davon. 
Frau v Tannheim versicherte wiederholt, sie glaube niemals daran, daß Gertrud 
den Diebstahl ausgeführt haben könnte, dazu schien sie ihr gar nicht fähig zu sein, 
aber — so legte man sich insgeheim das Vorkommniß aus — das Mädchen hatte 
wahrscheinlich dem Alten von dem Schmuck gesprochen, und dieser konnte dann der 
lockenden Versuchung nicht widerstehen. Diese Annahme schien den Dorfbewohnern 
die richtige zu sein. Umsonst betheuerte Gertrud, daß von dem Schmuck gar nicht 
die Rede gewesen sei; vergebens schwur der Alte, daß er das kostbare Kleinod nie 
zu Gesicht bekommen habe —, man lächelte nur zweideutig und — zuckte die Achseln. 
Freilich wagte Keiner, die Anschuldigung dem Alten direkt in's Gesicht zu sagen, 
aber er wußte es doch, daß der schwere Verdacht des Diebstahls auf ihm ruhte. 
Am Abend dieses Schreckenstages eilte Gertrud, von banger Sorge getrieben, 
den Berg hinab, um womöglich ihren Franz zu sehen. Er schien bereits auf sie ge¬ 
wartet zu haben, auf seiner sonst so heiteren Stirn lag eine finstere Wolke. 
„Um Gotteswillen, mein Liebster," schrie das Mädchen entsetzt auf, „Du glaubst 
doch nicht etwa —, daß ich —, oder mein Vater —" 
Er ließ sie nicht ausreden. 
„Still davon, Gertrud, da sei Gott vor, daß ich an Eurer Rechtschaffenheit 
zweifle," sagte er beruhigend, „ich kenne doch mein gutes Mädel —, vor mir brauchst 
Du kein Wort zu Deiner Rechtfertigung zu sagen —, aber —, die Andern —, die 
glauben nur zu gern, was man über Euch spricht. O, über diese hämischen, neidischen 
und mißgünstigen Menschen darfst Du Dich nicht kränken." — 
„Weitn Du nur an mich glaubst, dann mögen die Andern reden, was sie wollen, 
es ist mir gleichgittig!" fiel das Mädchen rasch ein. 
„Mir läge an der ganzen Sippschaft nichts, ich würde Dich ihnen allen zum 
Trotz sogleich heimführen als mein geliebtes Weib —, aber ". 
„Nun?" fragte Gertrud ängstlich, als Franz beklommen schwieg. 
„Du weißt ja, wie der Vater ist," fuhr er nach kurzer Pause fort. „Zwar 
besitzt er ein gutes Herz, doch einen harten Kopf, und man hat ihn jetzt so gegen 
Dich aufgehetzt, daß er schwur, nicht eher seinen Segen zu unserem Bunde geben zu 
wollen, bis die ganze Sache sich aufklärt. Und daran wird er festhalten, ich kenne 
ihn! Siehst Du, das ist es, was mir Sorge macht. Unsere Vereinigung ist nun 
weit —, weit hinausgeschoben, wer kann sagen, wie Alles enden wird? Und ohne 
den Segen des Vaters will ich einen solchen Schritt nicht unternehmen, er führt zu 
keinem Glück."
	        
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