Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1903 (1903)

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„Ja, lauf nur —, lauf, Du Wetterhexe, es ist doch so, wie ich sage, wenn 
Du es auch leugnest! Der Dr. Rottner hat noch scharfe Augen, wenn er auch nicht 
mehr zu den Jungen gehört!" rief er hinter dem Mädchen drein. 
Gertrud hörte es nicht. In ihrer Aufregung wußte sie kaum, was sie that, 
sie eilte so rasch vorwärts, und achtete wenig auf den Weg. Plötzlich stolperte sie 
über einen großen Stein, und wäre unfehlbar gefallen, wenn nicht Förster Gotthelf 
eben zur rechten Zeit herbeigeeilt wäre. Er fing die schlanke Gestalt in seinen 
Armen auf. 
Gertrud konnte im ersten Schreck kein Wort hervorbringen, sie lag sekundenlang, 
ohne sich zu regen, und ohne etwas zu denken, an der Brust des Mannes. Nur ihr 
Herz pochte in heftigen Schlägen, so daß es ihr fast den Athem raubte. 
Die Situation, in der er sich befand, schien dem jungen Förster keineswegs 
unangenehm zu sein, vergnüglich blitzen seine hellen blauen Augen, ein leises Lächeln 
spielte um die bärtigen *>— 
Lippen. 
Endlich riß Gertrud 
sich los, und blickte be¬ 
stürzt umher, als müsse 
sie sich erst besinnen, 
was geschehen war. 
„Entschuldigen Sie, 
Herr Förster," stam¬ 
melten die bleichen 
Lippen. 
„O bitte, Fräulein, 
es ist gern geschehen, 
wenn Sie mich wieder 
brauchen, ich bin mit 
Vergnügen bereit, und 
wünsche nur, daß ich 
dann eben so rasch zur 
Hand sein kann, wie 
diesmal." 
Jetzt lachten sie 
Beide, und in dem 
der verabredet hatten, 
werden würden. 
Längst hätte auch der junge Förster das Mädchen, dem er innig zugethan 
war, gefragt, ob sie seine geliebte Frau werden wolle, wenn nicht sein — des 
Försters — Vater sich ernstlich dieser Verbindung widersetzt hätte. Der stolze Mann 
wollte die Tochter des Taglöhners nicht als Mitglied seiner Familie aufnehmen. 
Wenn die Erwählte auch im Herrenhaufe erzogen worden war, so blieb ihre Herkunft 
in feinen Augen dennoch eine niedrige. Der Vater des Försters war der Bürger¬ 
meister des Ortes, und als solcher glaubte er, auf Ansehen hatten zu müssen. 
Gertrud ahnte natürlich davon nichts. In ihrem Herzen sang und klang es 
vor übergroßer Lust und Freude. Sie wußte es, der hübsche Jägersmann, — dem 
der grüne Hut mit dem Adlerflaum so keck auf dem leichtgewellten Haar saß, — 
liebte sie treu und wahr. Wenn er auch bisher nichts davon verlauten ließ, so 
sagten es ihr feine blitzenden Augen, die immer so freudig aufleuchteten, wenn sie 
ihm begegnete. 
Bald war es kein Geheimniß mehr, 
treuherzigen ’-öitct, oen 
der junge Mann auf 
das Mädchen heftete, 
lag so viel Zärtlich¬ 
keit, daß dieses wie 
geblendet die Augen 
zu Boden schlug. 
Schweigend schrit¬ 
ten sie eine Weite 
nebeneinander hin. Der 
Förster begleitete Ger¬ 
trud bis an's Dorf, 
aber keines von Bei¬ 
den bemerkte es, daß 
mancher neugierige 
Blick ihnen folgte, daß 
jeder Vorübergehende 
sie lächelnd betrachtete. 
Noch oft trafen die 
jungen Leute sich an 
derselben Stelle, ohne 
daß sie es mit einem» 
daß die zwei ein Paar
	        
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