Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1903 (1903)

„Nein, nein, bleibe hier, ich will nicht allein sein", klagte sie weinerlich. 
„Aber so komm doch mit!" 
„Ich kann nicht!" 
„So bleibe meinetwegen hier, ich halte es nicht mehr aus!" rief bet Gatte 
unmuthig. 
Er hatte dabei bie Thür heftig ins Schloß geworfen unb eilte fort. 
„Da brinnen aber ist's fürchterlich," murmelte er für sich. 
Frau Emma war empört. 
„O ber Grausame, — der Herzlose, — ach mein Kopf ich — sterbe!" 
Stöhnenb sank sie auf bie Kiffen zurück. Gleich barouf gellte bie Klingel 
burch das Haus. 
„Man soll fofort Dr. Rottner zu mir rufen," befahl die aufgeregte Frau dem 
herbeieilenden Mädchen. 
Nach kurzer Zeit stand der Doktor vor der Leidenden und hörte ruhig, doch 
mit leisem Lächeln, ihre Klagen an. 
„Glauben Sie mir, lieber Freund, ich bin krank, sehr krank, ich fühle mich 
zum Sterben elend." 
»Ja, ja —, ich weiß," kam es etwas gedehnt von den Lippen des alten, treu¬ 
herzig blickenden Mannes, der seine hellen, klugen Augen forschend auf der jungen 
Frau ruhen ließ. „Die Langeweile plagte Sie wieber, meine Gnädige, das ist alles." 
Frau Emma seufzte hörbar. 
„Ach ja; Doktor, es ist wirklich langweilig. Nichts macht mir Freube —, bie 
Gesellschaften, Bälle, Concerte — alles, alles habe ich schon bis zum Ueberbruß ge¬ 
nossen — es macht mir keine Freube mehr, es langweilt mich höchstens! Was soll 
ich beginnen, lieber Freunb, rathen Sie mir! Nichts gewährt mir Befriebigung, ich 
fühle mich unglücklich." 
Der Doktor lächelte wieber, wie vorhin, etwas malitiös zu ben Worten ber 
Patientin. . 
„Ich weiß nicht," fuhr die junge Frau nach kurzer Pause fort. „wie ich bas 
anbetn soll. Das Leben erscheint mir öbe —, trostlos öbe unb leer. Unb das soll 
nun immer so bleiben immer —, bis ich alt unb grau geworben bin?" 
Der Doktor hatte ihr ruhig zugehört, er hielt, wie es so seine Gewohnheit war, 
die Hände auf dem Rücken gekreuzt und wanderte auf und ab. „Soll ich ihnen 
sagen, was Ihnen eigentlich fehlt, gnädige Frau?" 
Da Emma nickte, fuhr er fort: „Die Arbeit! Sie ist es, die allein Befriedigung 
gewähren kann! Wenn ich Abends so recht müde und abgehetzt nach Hause komme, 
wenn ich den ganzen Tag über tüchtig geschafft habe, und ich darf mir eingesehen, 
Du hast heute teblich unb ehrlich Deine Pflicht erfüllt, haft gethan, was Du konntest, 
nichts versäumt, nichts vernachlässigt —, dann fühle ich mich am wohlsten. ^chen 
Sie, das ist es! Dabei strecke ich mich behaglich in meinem Sorgenstuhl aus, rauche 
mein Pfeifchen, Irtnfe mein frisches Schöppchen und lege mich zufrieden auf's Ohr. 
Da möchte ich wahrhaftig mit keinem König tauschen, so wohl ist mir! Wenn ich 
mich alV der dankbaren Blicke erinnere, die meine armen Kranken mir zugeworfen, 
und wenn ich mir sagen kann: Du hast manchem verzagten Herzen Trost und neue 
Lebenshoffnung gebracht —, das thut wohl! Ich muß ja freilich bekennen: Unser 
Wissen ist nur Stückwerk, und die beste Hilfe kommt immer von dem, der Herr ist 
Über Leben und Tod —, aber meine Arbeit thut auch das ihrige dabei! 
Dr. Rottner hatte sich in Eifer geredet. Seine Wangen glühten förmlich, und 
die freundlichen Augen hingen erwartungsvoll an dem etwas blaffen (gesteht seiner
	        
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