Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1903 (1903)

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retten. Lernen wir daraus ebenfalls, Alles zu thun, jedes Opfer zu bringen, roenn 
es unser eigenes oder des Nächsten Wohl erfordert." 
Krahkamp hörte aufmerksam zu. Ihm wollte es scheinen, als ob die Worte 
des Seelsorgers aus seine Lage paßten, und schauderte zurück vor dem, was gefordert 
wurde. Der Geistliche fuhr weiter fort: 
»Wir muffen also Opfer bringen wie unser Herr und Meister, dem wir in 
Allem nachfolgen wollen. Leider hindert uns die Eigenliebe und andere menschliche 
Schwachheit oft genug, zu thun, was unsere Pflicht ist. Der Beispiele hiestir gibt 
es genug. Ihr Alle wißt, daß heute ein Kind unseres Dorses zu mehrjährigem 
Kerker verurtheilt wurde, weil man ihn des Raubes an unserer Kirche für schuldig 
hielt. Alle aber, die ihn näher gekannt, jenen fleißigen Menschen und guten Sohn, 
besonders ich, der ich ihn lange Jahre im Religionsunterrichte hatte, wissen, daß er 
jener That unfähig war und zu Unrecht verurtheilt ist. Der wahre Thäter aber, 
wenn ihn nicht Gottes gerechtes Gericht in der Ewigkeit schon ereilte, ist auf freiem 
Fuße, weilt vielleicht in unserer Mitte. £) emdfände er, an diesem heiligen, geseg- 
neten Abende, daß es auch süß ist, Opfer zu bringen, und verleihe ihm der Himmel 
die Gnade, daß er in Erkenntniß seiner Pflicht einen Unschuldigen aus dem Kerker 
befreie und einer armen Mutter, deren Herz zu brechen droht, den Frieden wieder 
gebe. Auf daß dies geschehe, betet mit mir ein andächtiges Vaterunser!" 
Während die Gläubigen in tiefer Ergriffenheit das Gebet des Herrn zu Ende 
brachten, hatte der Heidehofbauer das Gotteshaus verlassen. Die Lichter tanzten 
ihm vor den Augen, Gewölbe schienen über ihm zusammen zu brechen. Draußen in 
£>er klaren Frostnacht kam er schnell zu sich; er blickte zum gestirnten Himmel empor 
And faltete die Hände, dann sank er auf seine Kniee — in den schlichten Worten 
des greifen Pfarrers hatte die Gnade sein Herz gerührt. 
Hinter einem Mauervorsprung wartete er, bis die letzten Andächtigen die Kirche 
verlassen hatten und der Pfarrer die Thür hinter sich schloß. 
„Herr Pfarrer!" 
Der Angerufene drehte sich überrascht um und gewahrte den Heidehofbauer. 
„Ihr Krahkamp? Habt Ihr auf mich gewartet? Was soll's denn?" 
„Herr Pfarrer — ich — Ihre Predigt — ich habe die Kirche bestohlen, und 
nicht der Schäferfranz." 
Und unaufhaltsam folgte diesen ernsten stockend gesprochenen Worten das volle 
Geständniß. 
„Ehre sei Gott in der Höhe," sagte der Geistliche feierlich. „Danket dem 
Herrn, Krahkamp, daß er Euch die Gnade gab, so zu handeln, daß die Leiden der 
Unschuldigen ein Ende finden." 
Dann hatten Beide, der reuige Sünder und der Psarrherr, eine lange Unter¬ 
redung, die sich im Psarrhause fortsetzte. Als der Bauer an feinem Hof kam, war 
Mitternacht nicht mehr allzufern. 
Die Bäuerin erwartete ihn im Wohngemach. Erstaunt blickte sie in sein Ge¬ 
sicht, aus dem ein stiller Friede lag. Sie fühlte, daß sich ein Ere-gniß vollzogen habe. 
„Ich komme vom Pfarrer," sagte der Heidehofbauer. „Ich habe gebeichtet." 
„0 Gott, ich danke Dir!" rief die Bäuerin und sank schluchzend vor dem 
Kruzifix in die Kniee. „Aber Du?" fragte sie entsetzt, nachdem sich ihre erste Auf¬ 
regung gelegt hatte. „Run mußt Du —." 
»Jn's Gefängniß, meinst Du," entgegnete der Bauer. „Ich war bereit dazu, 
aber der Pfarrer hat mir anders gerathen. Er kommt nach den heiligen Messen 
mit einem befreundeten Notar, und ich gebe mein Geständniß zn Protokoll. Das 
genügt, wie er sagt, um den Schäferfranz zu befreien und feine Ehre wieder herzu-
	        
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