Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1903 (1903)

65 
ihn in letzter Zeit mehr und mehr gepeinigt hatte, obgleich er in der ersten Zeit nach 
der That jeden Gedanken an spätere Reue verlacht hatte. 
Und draußen läuteten die Weihnachtsglocken so ernst und feierlich, und es klang 
weithin in die stille Welt: „Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind!" 
Der heilige Abend ist diesmal auf einen Samstag gefallen, darum leert sich 
gleich nach der Bescheerung das Wohnzimmer, und Alles begibt sich auf den Weg 
zur Kirche, um der Salveandacht beizuwohnen. Der Bauer stellt sich an die Spitze 
der Knechte und tritt festen, stampfenden Schritts in den kalten Winterabend hinaus. 
Nur Zwang und Rücksichtnahme auf Andere vermögen ihn zum Kirchgänge, der ihn 
jedesmal bis in die Seele widersteht, weil er die Reue lebendiger macht, so daß sie 
ihn mit größerer Macht peinigt und quält. 
Kurz darauf folgt die Bäuerin mit den Mägden. Die inzwischen wieder zur 
Besinnung gelangte Schäferstine bittet unter Thränen, sie mitzunehmen. Sie 
müsse in die Kirche, der Herrgott sei ihr einziger Trost. Sorgfältig nehmen Bäuerin 
und Altmagd die arme Mutter zwischen sich und können eben so wenig wie jene die 
Thränen unterdrücken, die der furchtbare Jammer der Schäferstine ihnen erpreßt. 
Auch die Heidehofbäuerin leidet schrecklich. In ihre Hand war es ja gegeben, der 
Schäferstine all' dies Herzeleid, dem Franz den Kerker zu ersparen, allein sie hat 
es entgegen ihrem Gewissen nie über sich bringen können, den Gemahl zu verrathen. 
Mehr und mehr ist ihr letzthin zum Bewußtsein gekommen, daß sie durch ihr Schweigen 
eine große Schuld auf sich häuft. Morgen, am Nachmittag des ersten Festtages, 
will sie jedoch zur heiligen Beicht gehen und unverzüglich thun, was der erfahrene 
Herr Pfarrer ihr rathen wird. 
Schweigend wandeln die Gruppen lautlosen Schritts über den losen weichen 
Schnee, der matt int Sternenschein glänzt und flimmert. Die Glocken und die hell¬ 
erleuchteten Fenster der Kirche sind ihnen sichere Wegweiser. Nicht lange mehr, und 
der letzte Knecht und die säumigste Magd sind in die Pforten des Hauses des Herrn 
eingetreten. 
VI. 
Wie so festlich war das kleine Gotteshaus geschmückt! Tannenreisig bekleidete 
wie ein dichter grüner Teppich die kahlen Steinwände und strömte seinen aromatischen 
Duft aus. Am linken Seitenaltar war das Krippchen in einem Meer von Lichtern 
aufgebaut Der Heidehofbauer wurde vom Strom der Knechte weit nach vorn ge¬ 
zogen und erhielt schließlich auf der Bank vor der Krippe seinen Platz. 
Ihm war so weich und weh um's Herz wie noch nie in seinem Leben. Die 
schlichten, ernsten Melodien der Weihnachtslieder, die man nach einem einleitenden 
Muttergottesliede sang, umringten ihn wie alte gute Freunde aus froher Jugendzeit. 
Sie waren die alten, die nämlichen geblieben wie auch die Kirche, deren Geiste 
sie entsprossen waren. Er aber, der Heidehofbauer? — War er wirklich ein Verworfener, 
ein Verbrecher, wie fein Weib glaubte? 
Und wenn er es war, wie tonnte er feine That noch sühnen ? Lag die Mög¬ 
lichkeit hierzu überhaupt noch vor? Gewiß, aber er müßte sich opfern. 
Der Pfarrer betrat die Kanzel und hielt eine kurze Predigt an seine Gemeinde. 
Krahkamp brachte es über sich, den einfachen Worten zu folgen. 
Der ehrwürdige weißgelockte Priester sprach vom Kindlein in der Krippe, wies 
hin auf die Demuth, die Opferfreudigkeit des Allerhöchsten. „Er hat Alles für uns 
getragen, ist in allem, ausgenommen allein die Sünde, uns in unserem Elende, in 
unserer Niedrigkeit gleich geworden. Er, der heiligste Gott, hat Alles für uns ge¬ 
than, die wir nur elende Menschen, von ihm abhängige Geschöpfe sind, um uns zu 
5
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.