Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit (7, Die Neuzeit ; Zweite Periode ; 1928)

§ 60. Palästina, die asiatische Türkei, Marokko, Persien 
Spitze hervorragende Rabbiner standen. Den Mitgliedern dieser Se- 
phardimgemeinden war in Marokko die Rolle von Pionieren der euro 
päischen Kultur zugefallen, und sie waren es, denen Handel und In 
dustrie in erster Linie ihren Aufschwung verdankten. Abendländische 
wie orientalische Sprachen in gleicher Weise beherrschend, standen 
sie den Sultanen nicht selten als Dolmetscher zur Seite und wurden 
zuweilen auch mit diplomatischen Aufträgen, namentlich mit kon 
sularischen Ämtern in Holland, England, Italien und der Türkei 
betraut. Manche Sultane standen nicht an, die kapitalkräftigsten oder 
politisch besonders befähigten unter den Sephardim sogar als Rerater 
oder „Minister“ an ihren Hof zu ziehen. Und dennoch war den Juden 
nirgends im Orient ein so schweres Los beschieden wie in Marokko. 
Es hatte dies seinen Grund in der beispiellosen Hemmungslosigkeit 
der Regierenden, die, im Verein mit dem religiösen Fanatismus der 
Volksmassen, zu periodisch wiederkehrenden Eruptionen führte. Das 
marokkanische Reich zerfiel nämlich in mehrere Sondergebiete, in 
denen die Regierungsgewalt in den Händen von Teilfürsten lag, die 
unausgesetzt miteinander um die Sultanskrone rangen, so daß jeder 
Thronwechsel im ganzen Lande chaotische Zustände nach sich zog. 
In der zweiten Hälfte des XVII. Jahrhunderts dauerten die Wirren 
ununterbrochen vierzig Jahre an. Als um 1666 Mulei-Arschid in den 
Besitz der Gewalt gelangt war, feierte er seinen Sieg durch Raub und 
Mord in den jüdischen Vierteln. Es war dies gerade in der „messiani- 
schen Zeit“, und der den marokkanischen Juden besonders nahe 
stehende Jakob Sasportas beeilte sich, sie durch seine Sendschreiben 
aus Europa eindringlichst vor den schweren Gefahren zu warnen, die 
die Schwärmerei für sie im Gefolge haben könne. Der Nachfolger des 
Arschid, Mulei-Ismael (seit 1672), hatte zwar den Juden Daniel Tole- 
dano zu seinem Berater ernannt und dessen Sohn als Konsul nach 
Holland entsandt, doch hinderte ihn dies nicht daran, die jüdischen 
Gemeinden in willkürlichster Weise zu brandschatzen. Eines Tages 
drohte er den noch immer Sabbatai verehrenden Juden, sie, wenn der 
Messias nicht zu einer bestimmten Frist erscheinen würde, gewaltsam 
zum Islam zu bekehren. Ebenso prekär war die Lage der Juden von 
Marokko auch im XVIII. Jahrhundert. Schon bei der geringsten Er 
schütterung des politischen Gleichgewichts fielen sie der Tyrannei der 
Herrscher oder den Ausschreitungen der fanatischen Menge zum 
Opfer. Eine besondere Tragik lag darin, daß die die marokkanische
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.