Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit (7, Die Neuzeit ; Zweite Periode ; 1928)

Die kleineren Zentren 
zufolge Untertanen jeder der vertragschließenden Parteien im Herr 
schaftsbereich der Gegenpartei Wohnrecht und Handelsfreiheit zuge 
sichert waren, konnten nämlich die türkischen Juden in Wien unbe 
hindert Wohnsitz nehmen und ihren Geschäften nachgehen, während 
ihre seit langem in Österreich beheimateten Stammesgenossen, abge 
sehen von einer kleinen Gruppe „Geduldeter“, sich in der Reichs 
hauptstadt nicht länger als drei Tage auf halten durften. Ein unter 
dem Schutze einer fremden, muselmanischen Macht stehender Jude 
hatte es somit im christlichen Österreich besser als dessen eigene jü 
dische Staatsangehörige. Darum konnte es auch nicht ausbleiben, daß 
die Juden von Belgrad, als sie vorübergehend unter österreichische 
Herrschaft gerieten (1717—1789), von der Okkupationsmacht nach 
Wiener Vorbild mit einer besonderen „Toleranzsteuer“ belastet wur 
den. Als Maria Theresia einige Zeit später den Plan faßte, zusammen 
mit ihren jüdischen Untertanen auch die bevorrechteten türkischen 
Juden aus Wien auszuweisen, erhielt sie vom Sultan ein Handschrei 
ben, in dem er der Kaiserin die geltenden Vertragsbestimmungen ins 
Gedächtnis rief und sich ferner bereit erklärte, den von der Auswei 
sung bedrohten österreichischen Juden in seinem Lande Zuflucht zu 
gewähren. Die Kaiserin war beschämt und beeilte sich, dem Sultan 
mitzuteilen, daß die Nachrichten über die von ihr angeblich geplante 
Judenausweisung völlig aus der Luft gegriffen seien. 
Über die wirtschaftlichen Verhältnisse der türkischen Juden in 
der zweiten Hälfte des XVII. Jahrhunderts liegt uns das Zeugnis 
des sich damals in der Türkei aufhaltenden französischen Kapuzi- 
ners Michel Febre vor. Wohin sich der Mönch auch wandte, stieß 
er überall, von Saloniki und Smyrna bis Aleppo und Kairo, auf den 
Märkten und an der Börse, in den kleinsten Kreditkassen und in den 
größten Bankhäusern, auf eine auffallend große Zahl von Juden* 
Ohne jüdische Beteiligung, meinte er, käme im Lande kein einziges 
geschäftliches Unternehmen zustande. Sieht man von den Übertrei 
bungen und den judenfeindlichen Zwischenbemerkungen des from 
men Wanderers ab, so gewinnt man ein im großen und ganzen recht 
zutreffendes Bild: neben den Griechen und Armeniern bildeten die 
Juden in der Türkei in der Tat den Lebensnerv des Handels und der 
Industrie, zumal sie mit den Stammesgenossen in Venedig und 
Livorno unzertrennlich verbunden waren und so das festeste Binde 
glied zwischen Europa und Asien darstellten. Daneben gab es unter
	        
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