Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit (7, Die Neuzeit ; Zweite Periode ; 1928)

§ 32. Die Ausweisung aus Wien und die Rückkehr der Finanzmänner 
2 7 5 
18* 
ihre jüdischen Nebenbuhler rüstete, bereitwillig sein Ohr. In ihrer 
1712 eingereichten Beschwerdeschrift suchte nämlich die Kaufmann 
schaft dem Kaiser weiszumachen, daß, „falls die Judenschaft nicht 
ganz von der Stadt abgeschafft würde, die Bürger den Bettelstab er 
greifen müßten“; zugleich machte sie geltend, daß „man wohl statt 
der viertausend verfluchten lasterhaften Juden, die ungefähr in der 
Stadt seien, ebensoviel Christen erhalten könnte, die den Namen Got 
tes ehren“. Zwar fand Karl VI. nicht den Mut, auf das mißglückte 
Experiment vom Jahre 1670 zurückzugreifen, doch nahm er sich 
vor, die Zahl der in Wien ansässigen Juden in einer für den Staats 
schatz möglichst wenig spürbaren Weise zu reduzieren. Von den zu 
diesem Zwecke angeordneten Maßnahmen wurden in erster Linie die 
„Nichtprivilegierten“, die sich in der Stadt illegal Aufhaltenden, 
betroffen. Man machte förmlich Jagd auf sie, spürte sie in ihren 
Verstecken auf und beförderte sie kurzerhand zur Stadt hinaus. 
Es kam die Einrichtung auf, allmonatlich die jüdischen Woh 
nungen zu „visitieren“, um derjenigen habhaft zu werden, die in 
den reichen Familien, sei es als angebliche Verwandte oder als 
überzählige Dienstboten, Unterschlupf gefunden hatten. Durch die 
vom Kaiser erlassenen „Judenordnungen“ (1718—1723) wurden 
aber auch für die „tolerierten“ Familien Beschränkungen eingeführt, 
die aller Menschlichkeit Hohn sprachen. So wurde die Verfügung 
getroffen, daß in jeder Familie nur der älteste Sohn eine Ehe 
eingehen dürfe, ferner daß das Wohnrecht der Angestellten sich 
nicht auf Frau und Kinder erstrecken, daß die Verlängerung der Pri 
vilegien nur in Ausnahmefällen bewilligt und auch in diesen von der 
Erhöhung des zu leistenden „Toleranzgeldes“ abhängig gemacht wer 
den sollte. Es fehlte sogar nicht an einem Versuch, die im Mittel-, 
alter für die Juden geltende Kleiderordnung zu neuem Leben erste 
hen zu lassen (1721). So war die jüdische Bevölkerung in der öster 
reichischen Hauptstadt den schlimmsten Demütigungen ausgesetzt und 
daneben ständig von der Gefahr der Verbannung bedroht. Uneinge 
schränktes Wohnrecht in Wien sowie in Österreich überhaupt genos 
sen die Juden nur, soweit sie Untertanen des türkischen Reiches wa 
ren, das sich in dem Friedensvertrag des Jahres 1718 das diesbezüg 
liche Vorrecht für alle türkischen Staatsangehörigen ohne Ausnahme 
ausbedungen hatte. Auf diese Weise wurde fremdländischen Juden
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.