Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit (7, Die Neuzeit ; Zweite Periode ; 1928)

§ 32. Die Ausweisung aus Wien und die Rückkehr der Finanzmänner 
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Stellung innerhalb der jüdischen Gemeinde Steuerfreiheit genossen, 
waren genötigt, im Laufe von zwei Wochen die Stadt zu räumen. In 
den den Verbannten ausgestellten Pässen wurde übrigens vermerkt, 
daß sie „nicht wegen begangener Übeltat, sondern um Willen Ihrer 
Kaiserlichen Majestät, die selbe in Dero Erzherzogtum Österreich fer 
ner nicht gedulden wollen, fortgeschafft werden“. 
Auf viel größere Schwierigkeiten stieß die „Fortschaffung“ der 
wohlhabenderen und der reichen Juden, die zusammen nahezu die 
Hälfte der Wiener Gemeinde ausmachten. Man mußte ihnen Zeit 
lassen, ihre Angelegenheiten zu regeln, mit den christlichen Gläubi 
gern und Schuldnern abzurechnen und ihr Vermögen zu liquidieren. 
Zugleich machten auch die einflußreichen Gemeindemitglieder ihrer 
seits die größten Anstrengungen, um den dem Rest der Wiener Juden 
drohenden Schlag abzuwenden. Sie wandten sich an den Kaiser mit 
einer Bittschrift, in der sie sich auf die Dienste beriefen, die sie 
dem Reiche während des Dreißigjährigen Krieges sowie in der Folge 
zeit geleistet hätten, und ihn daran erinnerten, wie sehr sie sich um 
die Entfaltung des Handels und die Verbilligung der Waren verdient 
gemacht hätten, was ihnen, wie sie noch ergänzend hinzufügten, nur 
durch die Anspruchslosigkeit, die die Juden im Gegensatz zu den 
Christen auszeichne, ermöglicht worden sei; in der Annahme, daß 
die Vertreibung der Juden „dem zarten Gemüt“ des Kaisers keinerlei 
Genugtuung verschaffen würde, suchten ihn nun die Gemeindever 
treter durch ihr „fußfälliges Seufzen und bluttriefendes Ritten“ dazu 
zu bewegen, die in Wien noch verbliebenen Juden nicht weiter zu 
behelligen. Leopold war jedoch unbeugsam und beschränkte sich 
darauf, den zur Ausweisung Verurteilten zur Regelung ihrer Geschäfte 
eine Galgenfrist zu bewilligen, die freilich später wegen des herein 
gebrochenen Winters bis zum Frühjahr verlängert wurde. Ein neues 
Unglück, das die kaiserliche Familie inzwischen betroffen hatte (die 
Kaiserin war mit einem toten Kinde niedergekommen), bestärkte den 
bigotten Herrscher endgültig in seinem Plan, das in Angriff genom 
mene Opferwerk ohne Säumen zu Ende zu führen. Am 28. Februar 
1670 Unterzeichnete Leopold das für die österreichische Judenheit 
so verhängnisvolle Dekret, und schon am 1. März zogen durch die 
Straßen Wiens Herolde, die dem Volke unter Trompetenklang kund 
taten, daß bis zum nächsten Fronleichnamsfest (20. Juni) alle Juden 
samt und sonders Wien sowie alle sonstigen Städte und Dörfer Nieder-
	        
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