Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit (7, Die Neuzeit ; Zweite Periode ; 1928)

Die Übergangszeit in Deutschland 
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samte Volkswirtschaft zerrüttete. Der inmitten der allgemeinen Not 
ungeschmälert erhalten gebliebene jüdische Wohlstand wurde in 
dessen zur Zielscheibe der Angriffe des von Judenhaß erfüll 
ten Wiener Magistrats, der denn auch mehrfach den Versuch machte, 
die Einwohnerschaft der „Judenstadt“, die als autonome Gemeinde 
unmittelbar unter der Protektion des Kaisers stand, unter die Fuchtel 
der Stadtverwaltung zu bringen. Die Auslieferung der jüdischen Ge 
meinde an das von Haß und Neid erfüllte Bürgertum wäre aber mit 
ihrer gänzlichen Vernichtung gleichbedeutend gewesen, und so fanden 
die Bestrebungen des Magistrats an dem Einspruch des Kaisers eine 
unüberwindliche Schranke. 
Die Lage verschlimmerte sich jedoch zusehends, als ein neuer 
Kaiser, Leopold I. (1657—1705), auf den Thron kam, dem nur in 
folge eines Zufalls, des plötzlichen Todes seines älteren Bruders, statt 
des Kardinalshutes die Kaiserkrone aufs Haupt gesetzt wurde. Ein 
frommer Jesuitenzögling, der selbst im Begriffe war, die geistlichen 
Weihen zu empfangen, hielt es der mit siebzehn Jahren zur Herr- 
schaft gelangte Leopold für eine schwere Sünde, die Juden in der 
Hauptstadt des katholischen Reiches auch weiterhin zu dulden. So 
lange er noch nicht volljährig war, hinderte ihn freilich die Regierung 
daran, seine Bestrebungen in die Tat umzusetzen, und der „Hofkam 
mer“, dem österreichischen Finanzministerium, blieb es unbenommen, 
den Juden nach wie vor ihre Protektion zu erweisen. Die Geistlichkeit 
und der Magistrat von Wien ließen es sich indessen angelegen sein, 
den Boden für jenes Regime, dem der kirchlich gesinnte Kaiser nach 
erreichter Volljährigkeit zum Siege verhelfen sollte, von langer Hand 
vorzubereiten. Als i664 der Krieg mit der Türkei ausbrach, brachte 
man das Gerücht in Umlauf, daß die Juden, die ehedem so oft in 
geschäftlichen Angelegenheiten nach Konstantinopel, Belgrad und dem 
unter türkischer Herrschaft stehenden ungarischen Ofen zu reisen 
pflegten, in geheimem Einvernehmen mit dem Feinde stünden. Im 
Jahre i665 schmuggelte man in das Judenviertel eine Frauenleiche 
ein, um seine Bewohner eines Ritualmordes bezichtigen zu können. In 
Wien und in anderen niederösterreichischen Städten ließ man Flug 
blätter unter das Volk verteilen, in denen in Wort und Bild „jüdische 
Missetaten“ geschildert wurden. Schon war es an manchen Orten zu 
Ausschreitungen gekommen, doch beeilte sich die Hofkammer, die 
ganze Hetzliteratur beschlagnahmen zu lassen und den böswilligen
	        
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