Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit (7, Die Neuzeit ; Zweite Periode ; 1928)

§ 31. Katharina II. und die Annexion Weißrußlands 
chert, vielmehr von ihrem „geziemenden Benehmen“ abhängig ge 
macht worden war, so war immerhin, wenn auch in verklausulierter 
Form, das Prinzip der Unantastbarkeit ihrer altüberkommenen Rechte 
feierlichst anerkannt, und so mußte sich die russische Regierungs 
politik auch in Zukunft wohl oder übel daran halten. 
Das neu einverleibte Landgebiet wurde in zwei Gouvernements 
bezirke eingeteilt: in den von Mohilew und den von Polozk (das nach 
malige Gouvernement Witebsk). Die Zahl der dort in Stadt und Land 
ansässigen Juden belief sich, wie gesagt, auf etwa iooooo 1 ). Zur Si 
cherstellung der pünktlichen Steuerentrichtung traf die Regierung 
schon im Jahre 1772 die Verfügung, daß „die Juden allerorten Ka- 
halen angehören und daß diese nötigenfalls mit Genehmigung der 
Gouverneure neu gegründet werden sollten“. Dabei allein konnte es 
jedoch nicht sein Bewenden haben. Das Leben selbst drängte der Re 
gierung das Problem der Regelung der inner jüdischen Verhältnisse in 
einer viel komplizierteren Form auf. Es war die Zeit der einschneiden 
den Reformen sowohl auf dem Gebiete der territorialen wie auf dem 
der ständischen Gliederung des Reiches („Gouvernementsverfassung“ 
und „Städteordnung“, eingeführt zwischen 1775 und 1785), und die 
Regierung sah sich vor die Frage gestellt, ob sie die für die einzelnen 
Stände zu statuierenden Ordnungen entsprechend der beruflichen Glie 
derung der jüdischen Bevölkerung auch auf diese ausdehnen, oder 
aber im Hinblick auf die eigentümliche Lebensführung der Juden 
und ihre von Polen überkommene Kahal-Autonomie sie als einen 
besonderen, sich selbst verwaltenden „jüdischen Stand“ gelten lassen 
sollte. Ohne sich nun für eine der zwei Lösungsmöglichkeiten end- 
1 ) Die Gesamtzahl der Männer und Frauen, die bei der im Jahre 1772 zu fis 
kalischen Zwecken vorgenommenen Zählung der jüdischen Bevölkerung Weißruß 
lands ermittelt worden war, bezifferte sich freilich nur auf 47 680 Seelen. Da 
jedoch aus den zum Teil veröffentlichten Unterlagen des amtlichen Schlußergeb 
nisses zu ersehen ist, daß sie die gezählten Einzelpersonen und Familien nicht 
immer auseinanderhalten, so ist anzunehmen, daß in der festgestellten Gesamtzahl 
zumindest noch einmal so viel Minderjährige nicht berücksichtigt worden sind. 
Somit ist die im Text angegebene Zahl von 100 000 Seelen jedenfalls nicht zu 
hoch gegriffen. Diese Schätzung wird indirekt durch die aus dem Jahre 1783 
stammenden Steuerrollen bestätigt, in denen nicht weniger als 22 84o Familien 
väter angeführt sind, die höchstens den fünften Teil der gesamten jüdischen Be 
völkerung ausmachen konnten. Demnach erscheint die von dem zeitgenössischen 
Schriftsteller Salomo Bennet für das Jahr der Angliederung Weißrußlands ange 
gebene Zahl von 4o 000 dort beheimateten jüdischen Familien, d. i. von ungefähr 
200 000 Seelen, stark übertrieben. 
17 Dubnow, Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Bd. VII 
25 J
	        
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