Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit (7, Die Neuzeit ; Zweite Periode ; 1928)

Die Entstehung des jüdischen Zentrums in Rußland 
254 
holen, und bekam die Randbemerkung der frommen Kaiserin Elisa 
beth zu Gesicht: ,Von den Feinden Christi ist mir selbst verlockender 
Gewinn unerwünscht*. Wie gesagt, war noch keine volle Woche ver 
gangen, seit Katharina den Thron bestiegen, auf den sie zur Vertei 
digung der Rechtgläubigkeit gebracht worden war . . . Die Geister 
waren, wie es stets nach Umwälzungen von solchem Ausmaß der Fall 
zu sein pflegt, noch stark erregt. Wäre die Zulassung der Juden als 
eine der ersten Regierungsmaßnahmen verfügt worden, so hätte dies 
keineswegs dazu beigetragen, die Geister zu beschwichtigen; die Zulas 
sung aber für schädlich zu erklären, ging ebenfalls nicht an. Katha 
rina fand nun einen einfachen Ausweg: als der Generalprokurator 
zur Abstimmung schritt und Katharina um ihren Entschluß befragte, 
sagte sie ihm: ,Ich bin dafür, daß die Sache vertagt werde*. So ge 
schieht es zuweilen, daß weder fortgeschrittene Denkungsart noch 
die besten Absichten, ja nicht einmal die Macht, ihnen Geltung zu 
verschaffen, dazu ausreichen, um den Willen in die Tat umzusetzen**. 
— Die Stimmung der reaktionär eingestellten Gesellschaftskreise war 
es also, die Katharina II. dazu zwang, trotz des einstimmigen Votums 
des Senats und wider ihre eigene bessere Einsicht die den Juden 
den Zutritt nach Rußland verwehrenden Vorschriften auch fernerhin 
in Kraft zu lassen. Als sie im gleichen Jahre in einem besonderen 
Manifest allen Ausländern die Freizügigkeit und das Niederlassungs 
recht in ihrem Reiche zusicherte, konnte sie daher nicht umhin, in 
den Erlaß die berüchtigte Formel „mit Ausnahme der Juden** auf 
zunehmen (4. Dezember 1762). 
Zwei Jahre später unterbreitete der kleinrussische Adel mitsamt 
den Ältesten und dem Hetman der Kaiserin eine Bittschrift, in der 
Katharina II. darum angegangen wurde, die von der russischen Re 
gierung mit Füßen getretenen „altverbrieften Rechte** des autonomen 
Kleinrußland gnädigst wiederherzustellen. Von den zwanzig Punkten 
des Gesuches bezog sich einer unmittelbar auf die Juden. Die Ver 
treter des kleinrussischen Volkes erklärten mit allem Nachdruck, daß 
das für die jüdischen Kaufleute geltende Einreiseverbot sich im Han 
delsleben des Landes überaus nachteilig auswirke, da die polnischen 
Juden, „des benachbarten Reiches Angehörige, an den kleinrussischen 
Handelsgeschäften den größten Anteil hatten**. Das Gesuch schließt 
mit den Worten: „Daß die erwähnten Juden sich im Kleinen Rußland 
niederlassen dürften, mit einer solchen Bitte wagen wir Eure Majestät
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.