Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit (7, Die Neuzeit ; Zweite Periode ; 1928)

Die Entstehung des jüdischen Zentrums in Rußland 
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sie auf den Rapport des Senats die lakonische Randbemerkung: „Von 
den Feinden Christi ist mir selbst verlockender Gewinn unerwünscht“ 
(Dezember 1743). Daraufhin bestätigte der Senat den bereits ergan 
genen Ausweisungsbefehl, indem er allen Ortsbehörden mit eindring 
lichsten Worten einschärfte, „künftighin die obigen Juden unter kei 
nen Umständen, unter keinerlei Vorwand, auch nicht zum Messebe 
such, und sei es nur für ganz kurze Frist, nach Rußland einzulassen, 
sowie davon Abstand zu nehmen, irgendwelche Vorstellungen hier 
über, woher sie auch kommen mögen, dem Regierenden Senat zu 
unterbreiten. Ob alle Juden aber bereits ausgewiesen sind — so schloß 
der Ukas —, darüber ist dem Senat Rapport zu erstatten“ (Januar 
1744). So setzte es Elisabeth durch, daß Provinzen, die lange vor 
ihrer Angliederung an Rußland von Juden bewohnt waren, nunmehr 
völlig judenrein wurden. 
Die fanatisierte Tochter Peters I. ließ es sich aber auch angelegen 
sein, mit dem Spürsinn eines Inquisitors darüber zu wachen, daß in 
Rußland nie und nirgends selbst der leiseste Widerhall des Judentums 
vernehmbar werden könnte, wie dies namentlich in dem folgenden 
Vorfall kraß in Erscheinung trat. Seit 1781 wirkte in Petersburg der 
einer portugiesischen Marranenfamilie entstammende gelehrte Arzt 
Antonio Sanchez, der sich, gleich seinen Vorfahren, im geheimen zum 
Judentum bekannte. Er bekleidete in der russischen Hauptstadt das 
Amt eines Hofarztes, stand an der Spitze des Sanitätswesens in der 
Armee und wurde als Verfasser gelehrter medizinischer Werke auch 
zum Ehrenmitglied der russischen Akademie der Wissenschaften er 
nannt. Als Sanchez später Rußland verließ, kam es der Zarin Elisa 
beth zu Ohren, er sei in Paris mit Marranen oder gar mit Juden in 
näheren Verkehr getreten, worauf sie den Befehl erteilte, ihn unver 
züglich aus der Liste der Akademiemitglieder zu streichen. In der 
Vermutung, daß seine Degradierung auf politische Motive zurück 
gehe, wandte sich nun der Gelehrte an den Präsidenten der Akademie 
mit einem Schreiben, in dem er seine aufrichtige Loyalität gegenüber 
der Kaiserin beteuerte. Hierauf teilte ihm der Akademiepräsident Ra- 
sumowskij in seinem Antwortschreiben die wahre Ursache der kaiser 
lichen Ungnade mit: „Soviel ich weiß — schrieb er an Sanchez — 
haben Sie gegen Ihre Kaiserliche Majestät oder Dero Interessen nichts 
verbrochen. Desungeachtet scheint es der Kaiserin mit ihrem Gewissen 
unvereinbar zu sein, in der Akademie einen Mann zu dulden, der das
	        
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