Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit (7, Die Neuzeit ; Zweite Periode ; 1928)

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§ 30. Die Verfolgungen unter den drei Kaiserinnen (1727—1761) 
zu überschreiten, befreundete sich in Moskau mit dem in den Ruhe 
stand getretenen russischen Seeoffizier Alexander Wosnizyn und rief 
in ihm Interesse für das Judentum wach. Für religiöse Problematik 
überaus empfänglich, ließ sich Wosnizyn von seinem jüdischen 
Freunde in das Studium der Bibel einführen und gewann bald die 
Überzeugung, daß die uralte Offenbarung vom einzigen Gotte weder 
mit den ihm vertrauten Kirchendogmen noch mit der Verehrung der 
Heiligenbilder vereinbar sei. So entschloß er sich denn, ohne vor den 
ihm drohenden Gefahren zurückzuschrecken, zum Judentum überzu 
treten. Er begab sich zu diesem Zwecke nach dem unweit Smolensk, 
jenseits der Grenze gelegenen Flecken Dubrowna, dem Wohnort der 
Familie des Baruch, wo er die Beschneidung an sich vornehmen ließ. 
Die Apostasie des Wosnizyn wurde indessen von seiner eigenen Frau 
den Behörden angezeigt (1787), worauf man eine Untersuchung ein 
leitete, die zunächst in Moskau und Petersburg in den Händen der 
Vertreter der Synode lag, um sodann von dem Justizkollegium und 
dem Senat weitergeführt zu werden. Die in Moskau in Haft genom 
menen Wosnizyn und Baruch wurden nach Petersburg geschafft und 
der berüchtigten „Kanzlei für geheime Recherchen“ überantwortet. 
Nachdem man die Angeklagten in der Folterkammer den grausigsten 
Martern unterzogen hatte, gestand Wosnizyn, daß er sich zum „Ju 
dengesetze“ bekenne und „der heiligen Kirche ins Gesicht schlagende 
gotteslästerliche Worte“ ausgestoßen hätte, während Baruch Leibow 
seine Mittäterschaft zugab. Außerdem wurde Baruch beschuldigt, zu 
sammen mit anderen Juden unter dem gemeinen Volke von Smolensk 
für das Judentum Stimmung gemacht, den bereits erwähnten Dorf 
geistlichen tätlich angegriffen und ein bei ihm angestelltes Bauern 
mädchen drangsaliert zu haben. All diesen Anschuldigungen ging man 
jedoch nicht weiter nach, da schon allein auf das Hauptverbrechen 
des Baruch, die Verführung des Wosnizyn, die Todesstrafe stand. Der 
außergewöhnliche Fall erregte das größte Interesse der Kaiserin Anna 
Iwanowna, so daß der Senat ihr über den Gang der Untersuchung 
mehrfach Bericht erstatten mußte. Am 3. Juli 1788 sanktionierte 
sie den folgenden Urteilsspruch des Justizkollegiums: „Dieweil die 
Betreffenden selbst eingestanden haben: Wosnizyn, daß er unseren 
Heiland Christus gelästert, das allein wahre Christengesetz zurück 
gewiesen und den Judenglauben angenommen habe, der Jude Baruch 
Leibow aber, daß er ihn durch sein verführerisches Zureden zum Ju
	        
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