Volltext: Die älteste Geschichte des jüdischen Volkes (1, Orientalische Periode / 1925)

§ 67. Die Entwicklung des Schrifttums; der Prophet Jeheskel 
als die anderen kannten. Ein genialer Geschichtschreiber, der zu 
jener Zeit lebte, arbeitete die alten Chroniken in eine pragmatische 
Geschichte des jüdischen Volkes von der Eroberung Kanaans bis 
zum babylonischen Exil um (die „Bücher der Richter, Samuelis und 
der Könige“). Es war dies in der Weltliteratur der erste Versuch, 
durch die Ausdeutung und Verallgemeinerung historischer Tatsachen 
das Selbstbewußtsein des Volkes zu heben. Die ganze Vergangen 
heit der israelitischen Nation ist hier sinnreich in ein System ge 
bracht und von den hellen Strahlen der Prophetenlehre durchleuchtet, 
ganz in der gleichen Weise, wie das vorhistorische Zeitalter und das 
„Gesetz Moses“ ein halbes Jahrhundert früher im „Deuteronomium“ 
ihre Darstellung fanden. (Aus diesem Grunde wird auch die babylo 
nische Rezension der geschichtlichen Bücher die „deuteronomistische“ 
genannt.) Auch ist es wahrscheinlich, daß gleichfalls um diese Zeit 
von den Priestern in Ergänzung der bereits abgefaßten Bücher des 
Gesetzes jene Teile der Thora aufgezeichnet wurden, die sich un 
mittelbar auf den Tempelkult und das rituelle Zeremoniell über 
haupt beziehen und die bisher ein priesterliches Geheimnis bildeten 
(besonders das dritte Buch des Pentateuch). Über den ältesten 
Schichten des biblischen Schrifttums erhob sich so eine neue 
Schicht. Der Beruf eines Gelehrten oder „Schriftgelehrten“ (Sofer) 
gewann in dieser Epoche hervorragende Bedeutung. Damit setzt 
jene intensive Entwicklung des hebräischen Schrifttums ein, die 
den prägnantesten Zug der darauf folgenden „Epoche der Schrift- 
gelehrten“ bildet. 
Jedoch waren die judäischen Exulanten in nicht geringerem 
Maße als für das geschriebene für das lebendige Wort der unter 
ihnen weilenden Propheten zugänglich. Die Tatsache, daß die Pro 
phezeiung über das traurige Los Israels und Judas zur Wirklichkeit 
geworden war, veranlaßte das Volk, auch den Worten der neuen 
Propheten, der Nachfolger Jeremias, die nun das Joch des Exils 
gemeinsam mit ihren Brüdern trugen, Glauben zu schenken. Der 
älteste Prophet dieser Zeit war der einem vornehmen Priester 
geschlecht angehörende Jeheskel (Ezechiel) (§ 61). Er lebte am 
Fluß oder Kanal Kebar unter jenen Gefangenen, die noch im 
Jahre 597 mit Jo jakin zusammen verbannt worden waren. Von 
der Heimat zu einer Zeit losgerissen, als Jerusalem und sein Tempel 
noch nicht zerstört waren, gab sich jedoch Jeheskel, im Gegensatz 
22 Dubnow, Weltgeschichte des jüdischen Volkes. 
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