Volltext: Die älteste Geschichte des jüdischen Volkes (1, Orientalische Periode / 1925)

§ 66. Die judäischen Verbannten unter Nebukadrezzar 
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nach Babylon gebracht und in den Kerker geworfen, in dem schon 
der frühere König Jo jakin schmachtete. Die neuen Ankömmlinge 
brachten traurige Kunde aus der verwüsteten Heimat. In den Herzen 
erlosch jede Hoffnung auf eine baldige politische Wiedergeburt. 
Nun aber kommt erst der nationale Selbsterhaltungstrieb zu 
voller Entfaltung. Das gemeinsame Unglück schloß die Mitglieder 
der verwaisten nationalen Familie enger aneinander und erhöhte 
das Gefühl der geistigen Zusammengehörigkeit unter den Ver 
bannten. Durch den Zustrom neuer Ansiedler vergrößert, breiteten 
sich die judäischen Kolonien in Babylonien zunächst in der Um 
gegend der alten Stadt Nippur aus, am Nebenfluß des Euphrat, 
Kebar (nahar Kebar), wo schon die ersten Verbannten aus der 
Jojakingruppe mitsamt dem Propheten Jeheskel Unterkunft ge 
funden hatten. Allein mit der Zeit vergrößerte sich die Kolonie 
immer mehr, und viele von den Ansiedlern tauchten auch in der 
Hauptstadt sowie an anderen Orten auf. Sich in ihr Geschick 
fügend, begannen nun die Verbannten, den ihnen ehedem von 
Jeremia erteilten Rat zu befolgen: sie bauten Häuser, legten Gärten 
an, trieben Ackerbau; viele von ihnen beteiligten sich auch an 
Handel und Gewerbe, die in Babylonien zu höherer Entfaltung 
gelangt waren als in Juda 1 ). Nebukadrezzar gewährte anscheinend 
den Verbannten weitgehende Freiheit in der Wahl ihres Wohnortes 
und ihrer Beschäftigungsart sowie in den Angelegenheiten der 
inneren Selbstverwaltung. Daher war es ihnen möglich, sich nahe 
voneinander niederzulassen und geschlossene Gemeinden zu gründen. 
Die von den ersten Gefangenen angenommene Gewohnheit ab 
gesonderter Lebensführung machten sich auch die neuen Kolonisten 
zu eigen. Es entstand eine eigenartige Gemeinde- und Sippen 
ordnung, die die verlorene Staatsorganisation ersetzen sollte. Die 
Verbannten schlossen sich teilweise nach Geschlechtern, teilweise * V. 
1 ) Von der lanclwirtschaftlichen Betätigung der Verbannten zeugen auch 
die Namen der jüdischen Siedlungen: Tel-Abib („Ährenhügel“), Tel-Harscha 
(„Acker-“ oder „Pflughügel“). Vgl. Ezechiel (Jeheskel) 3, 15; Esra 2, 59. 
Auf die Beteiligung der Juden am babylonischen Handel weisen die bei den 
Ausgrabungen in Nippur auf gefundenen Handelsurkunden aus dem VI. und 
V. Jahrhundert vor der christlichen Ära hin, in denen eine Menge jüdischer 
Namen Vorkommen. (Entdeckungen der amerikanischen Nippur-Expedition von 
i8g3; vgl. unten, $ 79.)
	        
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