Volltext: Die älteste Geschichte des jüdischen Volkes (1, Orientalische Periode / 1925)

Das babylonische Exil 
jüdische Volk als seinen Auserwählten und Apostel anerkennt. Die 
Propheten des babylonischen Exils (besonders Jesaja II) verbanden 
mit diesem Ideenumschwung die Vorstellung von einer hohen 
religiös-sittlichen Mission der Juden unter den anderen Völkern. 
Allein die Wirklichkeit drängte diese Weltsendung in das Reich der 
erhabenen Ideale zurück, deren Realisierungsmöglichkeiten noch in 
ferner Zukunft liegen. Denn ehe das judäische Volk an die Auf 
klärung der ganzen übrigen Welt heranzutreten vermochte, mußte 
es zunächst selbst als geistige Individualität festere Wurzeln fassen. 
Hierzu bedurfte es aber der Abschließung gegenüber den anderen 
Nationen, um einer Verschmelzung mit ihnen zu entgehen. Nach 
einer schweren politischen Krise mußte es zu seiner Organisieruhg 
sich einer strengen sozialen und religiösen Zucht unterwerfen, die 
sein Aufgehen im Völkergemisch des Orients unmöglich machen 
sollte. An Stelle der großen Schöpfer der Ideen traten nun die 
praktischen Kulturförderer, die Priester und Schriftgelehrten. Die 
Wirksamkeit Esras, Nehemias und ihrer Nachfolger bezweckte die 
Einigung und Absonderung der Nation mit Hilfe der nationalen 
Religion, der Kultur und alles dessen, was zusammengefaßt „Ju 
daismus* 4 genannt wird. Dank der angestrengten Wirksamkeit dieser 
Männer wurde die Thora die Verfassung Judäas. 
Dabei sollte das Volk den Geboten der Priester und Gelehrten 
nicht blind Folge leisten, sondern sich die Prinzipien des Judaismus 
mit voller Bewußtheit zu eigen machen. Man begann die alten 
Schriftwerke zu sammeln, sie umzuarbeiten und in systematische 
Ordnung zu bringen sowie die Schriftkunde im Volke zu verbreiten. 
Die früher angehäuften geistigen Schätze wurden zum Grundkapital 
der Nation, das auch noch durch neue Geisteserzeugnisse vermehrt 
wurde. Diese Neuschöpfungen wurden in alle Teile der Bibel, 
namentlich aber in den dritten, unter dem Namen „Schriften“ oder 
„Hagiographen“ (Ketubim) bekannten, eingefügt. Die durch die 
letzten Rezensionen aus der babylonischen Exilzeit und durch die 
des „Schriftgelehrten** Esra ergänzte Thora (Pentateuch) wird zur 
Hauptquelle des Studiums der Schriftgelehrten und der Belehrung 
für das Volk. Sie wird öffentlich in Volksversammlungen und in 
den Synagogen vorgelesen. Die Bildung wird volkstümlich, das 
nationale Selbstbewußtsein dringt in die breiten Volksmassen. Das 
Volk erhält immer mehr die Prägung einer geistigen Nation, die 
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