Volltext: Die älteste Geschichte des jüdischen Volkes (1, Orientalische Periode / 1925)

§ 65. Allgemeine Übersicht 
Sitten und Zukunftshoffnungen geeint, erfaßten die judäischen Exu 
lanten zum erstenmal die ganze Tiefe der Gedankenwelt ihrer Pro 
pheten und begriffen, daß die Hauptmacht der Nation nicht so 
sehr in ihrer Waffenrüstung, nicht einmal in Staat und Territorium 
liegt, als vielmehr in geistiger Einigkeit. Sie vermischten sich mit 
den Einheimischen nicht und bewahrten treu die Eigenart ihrer 
Kultur. So lebten sie an den Ufern des Euphrat wie eine fest zu 
sammenhaltende Familie. In der Fremde gewann der nationale 
Selbsterhaltungstrieb an Kraft und es herrschte unter den Ge 
fangenen Babyloniens viel größere Eintracht als früher unter den 
freien Bürgern Jerusalems. Der Urquell des geistigen Schaffens, 
weit davon entfernt, im Exil zu versiegen, sprudelt hier nur noch 
lebhafter. Der Prophet des babylonischen Exils, Jeheskel, und der 
Verkünder der Wiedergeburt, „Jesaja II“ (Deuterojesaja), schaffen 
Werke, die mit zu den bedeutsamsten des prophetischen Schrifttums 
gehören. In den Reden des ersten fand die große Sehnsucht der 
ersten Generation der Exulanten ihren vollkommenen Ausdruck, 
während in den Reden des andern bereits der zuversichtliche, hoff 
nungsfrohe Ruf zum Wiederaufbau des heimatlichen Landes und 
zur geistigen Erneuerung des Lebens ertönt. 
Die Wiedergeburt Judas konnte aber erst nach dem Untergange 
Babyloniens zur Tatsache werden. Auch die zweite Weltmacht, die 
das Erbe Assyriens angetreten hatte, fiel, und die Hegemonie im 
Orient ging nunmehr an Persien über, zu dessen Größe der ge 
waltige Eroberer Kyros den ersten Grundstein legte. Die neu 
entstandene Monarchie bezog nun ihrerseits Juda in ihren Herr 
schaftsbereich ein, allein auf andere Weise als dies ehedem ihre 
beiden Vorgänger, Assyrien und Babylonien, getan hatten. Gleich 
zu Anfang schon erschienen die Perser den Judäern nicht als 
Unterjocher, sondern als Befreier. Dem neuen Gebieter Asiens, 
Kyros, fiel mit der babylonischen Erbschaft auch das gänzlich 
verödete Juda zu, das seiner wertvollsten Bevölkerungsschicht be 
raubt und teilweise von den Nachbarvölkerschaften in Besitz ge 
nommen war. In großzügiger Weise gab er den zerstreuten Judäern 
die Möglichkeit, heimzukehren und ihr Land als eine autonome 
persische Provinz wieder aufzubauen. Ein Teil der Vertriebenen 
machte sich diese Gelegenheit unverzüglich zunutze, der andere Teil, 
der auch fernerhin in Babylonien und Persien verblieb, unterhielt
	        
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