Volltext: Die älteste Geschichte des jüdischen Volkes (1, Orientalische Periode / 1925)

Das babylonische Exil 
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Unter schweren Erschütterungen vollzog sich der Übergang der 
Nation von ihrer Jugendzeit in das reifere Alter. Das fünfzigjährige 
babylonische Exil (586—53j) war gleichsam die Reifeprüfung, der 
die judäische Nation von der Geschichte unterzogen wurde. Eine 
ähnliche Prüfung hatte im VIII. Jahrhundert das „Israel“ des sama- 
ritischen Reiches abzulegen, bestand sie aber nicht und ging zum 
größten Teil in der assyrischen Flut unter. Das judäische Volk 
dagegen bestand die schwere Prüfung und bewies, daß es Organis 
men gibt, die unter den Schlägen der Geschichte nicht zerschellen, 
sondern nur noch fester geschmiedet werden. Die Judäer bewahrten 
auch in der Diaspora ihre national-religiöse Einheit, und bald 
erlebten sie, wenn auch in geschmälerter Form, eine politische 
Wiedergeburt. Der judäische Teil der Nation entging dem Los des 
nordisraelitischen dank seiner größeren national-geistigen Stand 
haftigkeit, die auf dem Wege einer langwierigen, eigenartigen 
Evolution, bei dauernder Einheit der Dynastie und des religiösen 
Zentrums, gereift war. Auch spielte hier die Verschiedenheit der 
Methoden eine Rolle, die von den Assyrern bei der Deportation und 
Zwangsansiedlung der Bewohner des nördlichen Reichs einerseits 
und von den Babyloniern bei der Bevölkerung des südlichen Reichs 
andrerseits angewandt wurden. Sargon führte die zwiefache Form 
der Ansiedlung durch, indem er die Einwohner Samariens in ferne 
Provinzen seines Reiches brachte und im Austausch Einwohner 
dieser Provinzen nach Samarien bringen ließ. Nebukadrezzar da 
gegen begnügte sich mit einer einseitigen Ansiedlung, mit der Ver 
bannung der Einwohner Jerusalems nach Babylonien, ohne Juda 
mit Fremden zu besiedeln. Eine zwiefache Umsiedlung mußte die 
nationale Eigenart notwendigerweise in viel höherem Maße beein 
trächtigen als eine einfache. Daher auch, abgesehen von der 
größeren geistigen Konsolidierung der Judäer, der verschiedene 
Ausgang der beiden Krisen. 
Nicht in dem von Nebukadrezzar verheerten, nunmehr haupt 
sächlich von armen Landleuten bevölkerten Juda, sondern im „Lande 
des Exils“, in Babylonien, wohin die Aristokratie des Geistes und 
der Abstammung verschlagen worden war, vollzog sich zunächst 
jener Prozeß der geistigen Erneuerung, der die Nation nach dem 
Untergänge des Staates rettete. Von ihrer Heimat losgerissen und 
doch durch gemeinsames Gefühl, gemeinsamen Glauben, gleiche
	        
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