Volltext: Leibniz und seine Schule [2. Band] (2,2 / 1867)

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Gegen die Möglichkeit der Vernunftreligion zeugt in den 
Augen Jacobi's die Geschichte und die Natur. Die Geschichte: 
denn niemals ist in der Welt eine Religion durch Vernunstschlüsse 
gemacht oder auf Vernunftgründe hin geglaubt worden. Die 
Natur: denn die Vernunft ist verwandt mit dem Verstände, der 
menschliche Verstand ist verwandt mit dem thierischen; gäbe es 
nun eine Vernunftreligion, so müßte sich auch in den Thieren 
ein Analogon der Religion finden, weil sie ein Analogon der 
Vernunft haben. Aber es giebt in der Thierseele auch nicht ein 
leises Gefühl, auch nicht einen dumpfen Jnstinct des Uebersinn- 
lichen, also nichts, das der Religion vergleichbar wäre. Diese 
Thatsache beweist, daß die Religion niemals'aus Vernunft ge 
gründet werden kann, daß also die Religion, wenn sie ist, der 
Vernunft vorausgehn, daß Wissenschaft und Erkenntniß vielmehr 
auf die Religion gegründet werden müsse. Religion und Philo 
sophie, so habe ich mich an einem andern Orte ausgedrückt, ver 
halten sich im Verstände Jacobi's ähnlich, wie Natur und Phy 
sik. So wenig die Physik Natur machen kann, so wenig ist je 
mals die Philosophie im Stande, Religion zu machen. So we 
nig jemals die Physik, und wäre sie bis auf den letzten Punkt 
vollendet, die Natur überflüssig machen oder ersetzen kann, so 
wenig kann jemals die Philosophie, und wäre sie auf dem höch 
sten Gipfel der Aufklärung, die Religion überflüssig machen oder 
ersetzen. Jacobi dachte so: der wahre Theismus ist nur durch 
Glauben und nie durch Wegrisse gegeben; der wahre Theismus 
ist keine logische, sondern eine fromme Vorstellung, er ist das le 
bendige Verhältniß kindlicher Liebe, herzlicher Ergebung, innigen 
Vertrauens: der unbedingte, ursprüngliche Glaube an eine väter 
liche, liebevolle, erlösende Weltregierung: ein Glaube, der durch 
kein Verstandessystem begründet noch weniger erzeugt noch weniger
	        
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