Volltext: Leibniz und seine Schule [2. Band] (2,2 / 1867)

druck seines innern Gefühls, alles dessen, was das sittliche Leben 
so sehr über das thierische erhöht. Alle Gesichter der Menschen, 
alle Gestalten, alle Geschöpfe sind nicht nur nach ihren Classen, 
Geschlechtern, Arten, sondern auch nach ihrer Individua 
lität verschieden. Kein Mensch ist einem andern Menschen voll 
kommen ähnlich: es ist dieß der erste, tiefste, sicherste, unzerstör 
barste Grundstein der Physiognomik, daß bei aller Analoga und 
Gleichförmigkeit der unzähligen menschlichen Gestalten nicht zwei 
gefunden werden können, die neben einander gestellt und genau 
verglichen, nicht merkbar unterschieden wären*)." 
Die Physiognomik, in ihren Hauptsätzen ganz von der Mo 
nadenlehre abhängig, gab in der Art, wie sie Lavater geltend 
machte, ein höchst interessantes und ausdrucksvolles Zeugniß der 
Gefühlsphilosophie, von der sie angeregt und belebt war. Der poe 
tische Begriff einer signatura rerum wurde hier in einer ganz 
neuen Weise auf die menschliche Seele angewendet. Um diese Sig 
natur der Seele zu erkennen, mußten sich Phantasie und Verstand 
zu einer intellectuellen Anschauung vereinigen, die der Betrach 
tungsweise dieser Geniedenker vollkommen entsprach. Der Phy- 
siognomiker hatte soviel errathen und zu diviniren, er mußte durch 
Ahnung und Blick den Mangel einer festen und wissenschaft 
lichen Grundlage ersetzen. Der Gesichtsausdruck erschien als das 
bündigste Selbstbekenntniß, welches die Seele ablegen konnte, 
weit untrüglicher und unfehlbarer, als Rede und Schrift, weil 
dieser Ausdruck weit unwillkürlicher, instinctiver und darum na 
turgemäßer war. Man bedurfte nicht mehr der endlosen Auto 
biographien, womit sich die Literatur des Jahrhunderts ermüdet 
*) Lavater's Physiognomik. 
Nr. II. IY. 'S. 2 und 4. 
Neue Stuft, der physiogn. Fragn:.
	        
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