Volltext: Leibniz und seine Schule [2. Band] (2,2 / 1867)

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empfinden können, wenn man sich jene wunderbare Stelle des 
göthe'schen Faust vergegenwärtigt, wo bei dem Klange der Oster 
glocken in der Seele des lebensüberdrüssigen Denkers die Er 
innerung an die Kindheit, an den kindlichen Glauben und damit 
die Liebe zum Leben mit aller Macht der Einbildungskraft wieder 
erwacht: „dieß Lied verkündete der Zugend munt're Spiele, der 
Frühlingsfeier freies Glück; Erinnerung hält mich nun mit kind 
lichem Gefühle vom letzten, ernsten Schritt zurück. O tönet 
fort, ihr süßen Himmelslieder, die Thräne quillt, die Erde hat 
mich wieder!" Ueberhaupt ist dieses prometheische Gedicht in sei 
nen Elementen das poetische Ebenbild jenes Zeitalters, das mit 
seinem titanischen Streben so gern kindlich fühlen und zur mensch 
lichen Ursprünglichkeit und Einfachheit zurückkehren wollte. Aus 
dieser Gemüthsstimmung des Zeitalters wollen die Impulse abgelei 
tet sein, welche den göthe'schen Faust hervorgetrieben haben. Unter 
den Einflüssen, die von Hamann, diesem „Magus des Nordens", 
wie man ihn nannte, ausgingen, konnte die Phantasie des Dich 
ters, welcher den Drang der Gemüther zu gestalten suchte, un 
willkürlich auf jenen sagenhaften Zauberer hingeführt werden, wel 
chen die Volksdichtung zum Typus der magischen Geisteskraft 
gemacht hatte. 
Wenn wir Hamann in Rücksicht seines Glaubensprincips 
mit Hume verglichen haben, so müssen wir ihn darin mit Rous 
seau vergleichen / daß er, wie dieser, die Uebereinstimmung mit 
der Natur als die normale Verfassung und die Rückkehr zum 
elementaren, ursprünglichen Naturzustände, zur Sitteneinfalt 
und zum kindlichen Glauben für die einzige Wiederherstellung des 
Menschen ansah. Er vereinigt in sich diese beiden entgegengesetz 
ten Pole der englisch-französischen Philosophie: den Skepticis 
mus eines Hume und den Dogmatismus eines Rousseau, welche
	        
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