Volltext: Leibniz und seine Schule [2. Band] (2,2 / 1867)

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reu Regionen des menschlichen Geistes mit verwandtem Auge zu 
schauen, er hatte die große Gabe, sich ein fremdes Gemüths 
leben und fremde Phantasien anzuempsinden, und die Gefühlsfä- 
dcn seiner Seele erstreckten sich oft mit wunderbarem Tact in die 
verborgenen Tiefen des menschlichen Geistes, die sich dem rein 
logischen Verstände nicht offenbaren. 
Darum waren es besonders die Bildungszustände der Reli 
gion und Poesie, in denen sich Herder's Geist unmittelbar hei 
misch fühlte. Und wie er ganz im Charakter seiner Geistesver 
wandtschaft mit Winckelmann und Lessing für das Ursprüngliche 
und Eigenthümliche der Erscheinungen einen intuitiven Sinn hatte, 
so richtete sich Herder auf die elementaren Zustände der Religion 
und Poesie. Der kindliche Glaube der Menschheit und die Volks 
poesie aller Zeiten zogen ihn an; er wußte sich mit diesen Erstge 
burten des menschlichen Genius in eine poetische Wahlverwandt 
schaft zu setzen, und so entdeckte Herder geradezu ganze Reiche 
der menschlichen Bildung, welche die frühere Aufklärung kaum 
beleuchtet oder gar verdunkelt hatte. Er entdeckte den Genius in 
der Religion und Poesie des morgenländisch-hebräischen, des nor 
disch-heidnischen, des christlich-romantischen Geistes. Er wußte 
die Religion poetisch zu genießen und mit dem alten Testamente 
eben so vertraut als mit Ossian zu verkehren. Darin ergänzte 
Herder vortrefflich Winckelmann und Lessing, denen das classische 
Alterthum mehr verwandt war. In diesem Triumvirat unserer 
Aufklärung finden sich die Richtungen vereinigt, welche später 
in die Gegensätze des Classischen und Romantischen auseinander 
gehen sollten. 
Was Winckelmann dem Alterthum und der bildenden Kunst 
gewesen war, suchte Herder für Poesie und Christenthum zu wer 
den. Wenn Reimarus aus logischen und moralischen Gründen
	        
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