Volltext: Leibniz und seine Schule [2. Band] (2,2 / 1867)

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positiven Religion auch in Lessing's Augen nur den Werth einer 
nebensächlichen Erklärung haben; denn die Nothwendigkeit, wo 
mit sie begründet wird, besteht in zufälligen Bedingungen. Der 
menschliche Vertrag macht nicht, sondern befestigt nur das An 
sehen der positiven Religion, die aus der Natur der menschlichen 
Vernunft mit innerer Nothwendigkeit hervorgeht. Wenn in die 
sem tiefern Verstände die Offenbarung so viel als die Entwick 
lung oder die Erziehung des Menschengeschlechts ist, so bildet jede 
positive Religion gleichsam eine Unterrichtsclasse in dieser großen 
Schule der Weltgeschichte, so sind die Urkunden derselben gleich 
sam die Elementarbücher dieses planmäßigen Unterrichts: sie sind 
wie die guten Elementarbücher der jedesmaligen Fassungskraft 
ihrer Zöglinge angemessen und darauf bedacht, diese Fassungs 
kraft so weit zu befördern, daß der Zögling in eine höhere Classe 
übergehen und ein Religionsbuch höherer Ordnung empfangen 
kann. Der Zweck aber, den die göttliche Pädagogik im Men 
schengeschlechte verwirklicht, kann kein anderer sein, als in dem 
stufenmäßigen Fortschritt der positiven Religionen die Ausbildung 
der Vernunstreligion zu bewirken. Die endliche Uebereinstim 
mung der Offenbarung mit der Vernunft, der positiven Religion 
mit der Vernunftreligion ist das Ziel, welchem die Menschheit 
nach den ewigen Absichten göttlicher Weisheit entgegengeht. Ist 
die christliche Religion die höchste positive, so müssen ihre Be 
griffe, die Gottmenschheit, die Trinität, die Erlösung und Ge 
nugthuung, in Vernunftlehren verwandelt werden, so muß sich 
die Vernunft des Christenthums zuletzt zu dem Christenthume der 
Vernunft aufklären. „Man wende nicht ein," sagt Lessing, „daß 
dergleichen Vernünfteleien über die Geheimnisse der Religion un 
tersagt sind. Es ist nicht wahr, daß Speculationen über diese 
Dinge jemals Unheil gestiftet und der bürgerlichen Gesellschaft
	        
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