Volltext: Leibniz und seine Schule [2. Band] (2,2 / 1867)

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heit der menschlichen Cultur, durch den physischen und morali 
schen Bildungsgrad des menschlichen Geistes. Auch abgesehen 
von jenem tiefern Princip, wonach jede Religion ihrem letzten 
Grunde nach wirklich Offenbarung ist und darum in geoffenbar 
ten Religionen erscheint, würde sich dennoch unter dem Zwange 
einer geschichtlichen Nothwendigkeit die natürliche Religion in eine 
geoffenbarte, die Vernunftreligion in eine positive verwandeln 
müssen. Lessing hat diese geschichtliche Nothwendigkeit secundä- 
ren Ranges nicht übersehen. Wenn in der Erziehung des Men 
schengeschlechts die ewige Wahrheit der geoffenbarten Religionen 
erklärt wird, so beleuchtet ein fragmentarischer Aufsatz des lessing- 
schen Nachlasses die zeitliche Entstehung derselben. Aehnlich wie 
Rousseau aus dem Naturzustände den Staat ableitet, will Les 
sing aus der natürlichen Religion die positive entstehen lassen. 
Die natürliche Religion nämlich müßte so mannigfaltig und so 
verschieden sein, als die Individuen selbst. Das gesellschaftliche 
Bedürfniß, welches die Vereinigung der Individuen erzwingt, 
muß auch eine Vereinigung der religiösen Meinungen erzwingen 
und so eine conventionelle Religion herbeiführen, die eben so posi 
tiv als die bürgerliche Gesetzgebung sein will und, um ihre Auto 
rität zu sichern, das Ansehen einer geoffenbarten behauptet. Die 
geschichtliche Nothwendigkeit, die einer solchen Religion inwohnt, 
nennt Lessing ihre innere Wahrheit, und er schließt daraus, daß 
alle positiven Religionen gleich wahr und gleich falsch sind. Wie 
Spinoza denjenigen bürgerlichen Zustand für den besten erklärte, 
welcher dem natürlichen am nächsten kommt, so erklärt Lessing 
diejenige positive Religion für die beste, welche mit der natürlichen 
am meisten übereinstimmt*). Indessen kann diese Ableitung der 
*) Ueber die Entstehung der geoffenbarten Religion. Bd. XI. 
P. 607 stgd.
	        
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