Volltext: Leibniz und seine Schule [2. Band] (2,2 / 1867)

811 
rang heißen. Wie uns die Vernunstwahrheiten erst offenbart d. h. 
durch Erziehung gegeben werden, ehe wir selbst im Stande sind, 
sie selbstthätig und selbstdenkend zu erzeugen, so erscheint die Ver- 
nunstreligion im Menschengeschlechte zuerst als Offenbarung. Und 
wie die Erziehung des Individuums stufenmüßig fortschreitet von 
dem niedern Grade zum höhern, so entwickelt sich die Offenba 
rung in einer Stufenreihe von Religionen. Die Natur bildet ein 
continuirliches Stufenreich von Kräften. Wird nicht dasselbe auch 
von der Menschheit gelten müssen? Sie allein sollte von dem 
Naturgesetze der Entwicklung ausgeschlossen sein? Was ist das 
continuirliche Stufenreich menschlicher Bildungen anders, als die 
Weltgeschichte und ihre Zeitalter? Und wird nicht, was von der 
Menschheit gilt, nothwendig auch von der menschlichen Religion, 
was von der menschlichen Vernunft gilt, nothwendig auch von 
der Vernunftreligion gelten müssen? Sie allein sollte von dem 
Entwicklungsgesetz der Geschichte ausgeschlossen sein? Die Ent 
wicklung der Vernunftreligion ist Offenbarung; die Stufen dieser 
Entwicklung sind die geoffenbarten oder positiven Religionen; das 
Ziel derselben ist die reine, zum klaren Bewußtsein entwickelte 
Vernunftreligion. „Warum wollen wir," sagt Lessing, „in allen 
positiven Religionen nicht lieber weiter nichts, als den Gang er 
blicken, nach welchem sich der menschliche Verstand jedes Orts 
einzig und allein entwickeln können, und noch ferner entwickeln 
soll, als über eine derselben entweder lächeln oder zürnen? Die 
sen unsern Hohn, diesen unsern Unwillen verdiente in der besten 
Welt nichts: und nur die Religionen sollten ihn verdienen? Gott 
hätte seine Hand bei allem im Spiele; nur bei unsern Irrthü 
mern nicht*)?" 
*) Die Erziehung des Menschengeschlechts. Lessing's 
sämmtl. Werke. Bd. X. S. 308.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.