Volltext: Leibniz und seine Schule [2. Band] (2,2 / 1867)

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Er hätte sagen können: die menschliche Vernunft ist eine geborene 
Christin; das Christenthum läßt sich unabhängig von der Offen 
barung in der Vernunft selbst entdecken. 
8. Die Religion unter dem Gesichtspunkt der 
Entwicklung. 
a) Geschichte als Entwicklung. 
Die Religion Christi war nach Lessing eine reine Vernunft 
religion. Die Vernunft war der Ursprung des geschichtlichen 
Christenthums; das Christenthum der Vernunft soll das Ziel der 
Geschichte sein. Aber zu diesem Ziele soll kein anderer Weg füh 
ren, als die Geschichte der christlichen Religion selbst: wie der 
Weg von den ersten Anfängen der menschlichen Religion bis zur 
christlichen die Geschichte der früheren Religionen war. Nicht 
durch irgend eine Formel, sondern durch die Geschichte selbst 
will Lessing die Vernunftreligion mit der positiven, das Christen 
thum der Vernunft mit dem positiven Christenthume versöh 
nen. Ohne Zweifel ist die Vernunft und ihre Religion die 
höchste Bestimmung der Menschheit, die erreicht werden muß. 
Aber ist es gleichgültig, w i e sie erreicht wird? Ist es gleichgültig, 
auf welchem Wege das Menschengeschlecht jenem Ziele zugeführt 
wird, wenn es nur einmal dahin gelangt? Ist etwa der geradeste 
Weg auch der schnellste? Ist hier die gerade Linie wirklich die 
kürzeste? Offenbar wäre es sehr unvernünftig, wenn man die 
Menschen zur Vernunft gleichsam stoßen und vorzeitig treiben 
wollte, gleichviel, ob ihre Kräfte so fortschrittsfähig sind oder 
nicht. Der scheinbar nächste Weg würde in Wahrheit der aller 
weiteste werden, weil er das Ziel, welches er nicht schnell genug 
erreichen kann, eben deshalb verfehlen würde. Jede voreilige, ge 
waltsame Aufklärung ist gegen die Geschichte, gegen die Vernunft,
	        
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