Volltext: Leibniz und seine Schule [2. Band] (2,2 / 1867)

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Der Erste, welcher für das griechische Alterthum den conge- 
nialen Verstand hatte und forderte, war Winckelmann, ein 
den Griechen verwandter Geist, welchem die ästhetische Empsin- 
dungsweise der Alten angeboren war, und der deßhalb keine an 
dere Vermittlung bedurfte, als die Anschauung der antiken Schön 
heit, um das Wesen der classischen Kunst zu entdecken. Denn 
der congeniale Verstand darf von der Philosophie und der Schule 
ebenso unabhängig sein, als das Genie selbst. Seine erste Schrift 
über die „Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und 
Bildhauerkunst" bezeichnet den Aufgang der neuen Epoche. „Der 
einzige Weg für uns," sagt Winckelmann im Anfange seiner Schrift, 
„groß, ja, wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist 
die Nachahmung der Alten, und was Jemand vom Homer ge 
sagt, daß derjenige ihn bewundere, der ihn wohl verstehen ge 
lernt, gilt auch von den Kunstwerken der Alten, besonders 
der Griechen. Man muß mit ihnen, wie mit seinem 
Freunde, bekannt geworden sein, um den Laokoon ebenso 
unnachahmlich als den Homer zu finden. In solcher genauen 
Bekanntschaft wird man, wie Nikomachos von der Helena des 
Zeuxis, urtheilen: Nimm meine Augen, sagt er zu einem Un 
wissenden, der das Bild tadeln wollte, so wird sie dir eine Göt 
tin scheinen*)." Winckelmann verlangte die lebendige Gegen 
wart und die vertraute Nähe der antiken Kunstwerke, um in ih 
rer unmittelbaren Anschauung zu leben. Seine Reise nach Ita 
lien und sein Aufenthalt in Rom wurde für die Aesthetik, als 
Kunstwissenschaft, ebenso wichtig und ebenso bezeichnend, als 
später die Weltreisen eines Cook, Förster, Humboldt für die Na 
turwissenschaften. Bezeichnend deßhalb: weil der congeniale Sinn 
*) Johann Winckelmann's Werke. Bd. II. Gedanken über die 
Nachahmung der griechischen Werke u. s. f. §.6.
	        
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